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Held des amerikanischen Traums

Colin Powell war 1991 als Stabschef Architekt der US-Strategie gegen den Irak. Als Minister ist er bald Architekt der amerikanischen Weltpolitik

aus Washington STEFAN SCHAAF

Washington blickt derzeit zurück: auf acht Jahre Bill Clinton und auf frühere republikanische Administrationen, deren Protagonisten plötzlich gealtert, ergraut und mit frischer Energie dem texanischen Gouverneur im Weißen Haus zur Seite stehen dürfen. Der zehnte Jahrestag der ersten Raketen auf Bagdad, Auftakt der „Operation Desert Storm“, spielt dagegen kaum eine Rolle, nicht einmal bei CNN. Der Nachrichtensender, der damals den Krieg live in alle Wohnzimmer brachte, kündigt vielmehr Massenentlassungen an.

Das geringe Interesse am Jubiläum des Feldzugs gegen Saddam Hussein erstaunt, denn so wie die Clinton-Administration sich über den Vietnamkrieg definierte, denn viele ihrer Mitglieder, einschließlich des Präsidenten, hatten gegen ihn protestiert, definiert sich die neue Regierung über den Golfkrieg: Der heutige Vizepräsident Richard Cheney war damals Verteidigungsminister und der neue Außenminister Colin Powell Generalstabschef. Die beiden waren 1991 auf US-amerikanischer Seite neben Bush senior, Brent Scowcroft und General Norman Schwarzkopf die zentralen Charaktere in jener militärischen Auseinandersetzung. Vor allem Powell: Er erklärte nahezu täglich in den vom Fernsehen übertragenen militärischen Briefings die Lage.

Bei Colin Powell wurden wiederholt Veteranengruppen vorstellig, damit er sich für die Belange der erkrankten Veteranen verwende. In den Vereinigten Staaten kämpft fast jeder dritte der 700.000 im Golfkrieg eingesetzten US-Soldaten mit rätselhaften Erkrankungen, deren Ursache umstritten ist – die Vermutungen reichen von irakischem Giftgas über fehlerhafte Impfstoffe bis zur jüngst in die Debatte geratenen Munition aus abgereichertem Uran. Powell blieb eine Antwort schuldig. In einem Interview schien er nicht einmal davon überzeugt zu sein, dass es eine Verbindung zwischen den Erkrankungen und dem Einsatz der Veteranen im Golfkrieg gebe.

Dem Ruhm Powells hat es nicht geschadet. 1992 war er der popuärste Politiker in den USA. Bill Clinton bat ihn 1994, das Amt des Außenministers zu übernehmen. Powell lehnte ab. 1996 hofften die Republikaner, er werde ihnen als Präsidentschaftskandidat aus der Patsche helfen. Powell zögerte, dann sagte er im letzten Moment ab: eine Kandidatur „erfordert eine Berufung, die ich noch nicht verspüre“.

Warum ist der Mann so populär? Ist es der Glanz des Militärs, der in den USA noch nicht verblasst ist? Oder die Bewunderung für eine steile Karriere aus bescheidenen Umständen und mit dem Handicap der schwarzen Hautfarbe bis in die Führungszirkel mehrerer US-Administrationen? Ist es Powells auf gesundem Menschenverstand basierende Kritik an der teils bizarren Kultur der Macht in Washington und den ideologischen Auswüchsen republikanischer Politik? Er halte nichts davon, hat Powell gesagt, „aus halbherzigen Motiven in halbherzige Kriege zu ziehen“.

Der heute 64-jährige Powell spielte in allen militärischen Auseinandersetzungen, in die die USA seit Vietnam verwickelt waren, eine Rolle. Seine Karriere in der US-Armee begann 1958 in Fort Benning, Georgia. Vier Jahre später war er unterwegs nach Vietnam. Dort, so schreibt Powell in seiner Autobiografie, verbrachte er zu viel Zeit damit, „billige Romane zu lesen, zu viel zu rauchen“ und um herauszufinden, warum um Himmels Willen er dort sei. Auch nach sieben Monaten war es ihm noch nicht klar. 1963 kehrte er wegen einer Verletzung in die USA zurück, nach Georgia, wo er als Schwarzer in den meisten Hamburger-Restaurants nicht bedient wurde. Für ihn waren die Streitkräfte damals „die demokratischste Institution in Amerika“.

Er beschreibt seine Gefühle nach der Ermordung Martin Luther King Juniors im April 1968: „Wir konnten die Bitterkeit schwarzer GIs verstehen, die vielleicht so viel Glück hatten, dass sie unverletzt aus Vietnam zurückgekehrt waren und sich jetzt schlechten Jobchancen und würdeloser Behandlung ausgesetzt sahen. Aber wir waren professionelle Soldaten und waren unserem Eid auf unser Land verpflichtet. Wegen der relativen Freiheit im Militär funktionierte der amerikanische Traum für uns.“

Drei Monate später wurde Powell zum zweiten Mal nach Vietnam geschickt. Er diente als Offizier im Hauptquartier jener Division, deren Truppen im vorausgegangenen März 300 vietnamesische Zivilisten in dem Dorf My Lai umgebracht hatten. Bekannt wurde das Massaker erst im November 1969, doch Powell war, wie die US-Wochenzeitung The Nation jetzt berichtet, schon im Dezember 1968 durch den Brief eines GIs informiert worden, dass Zivilisten in der Region „ohne Provokation oder Rechtfertigung“ von US-Truppen gefoltert und ermordet worden wären. Powell ließ sich damals von Offizieren, die er befragte, überzeugen, dass die Anschuldigungen haltlos seien. In seiner Autobiografie nennt er My Lai „ein erschütterndes Beispiel für vieles, das in Vietnam falsch gemacht wurde“.

„Lügen und Selbsttäuschungen“ hätten das US-amerikanische Engagement in Vietnam geprägt, bilanzierte er später. „Ich bin wütend“, fügt er hinzu, „dass es so vielen Söhnen der Mächtigen und Leuten mit guten Verbindungen möglich war, Posten in der Reserve oder bei der Nationalgarde zu ergattern.“ Der Satz lässt sich auf Bill Clinton – und George W. Bush münzen.

Powell machte ab 1972 schnell politische Karriere, unter Reagan wurde er 1987 Nationaler Sicherheitsberater. Bush berief ihn zum Generalstabschef, als der er für die Planung der Invasion in Panama und des Golfkriegs mit verantwortlich war.

Powell und seine Vorgesetzten hatten Saddams Absichten im Sommer 1990 missdeutet. Sie beobachteten seine eine Million Mann starke Armee seit dem Waffenstillstand mit dem Iran mit Argwohn, doch sie rechneten nicht mit der Besetzung Kuwaits. „Erst am allerletzten Tag“ vor der Invasion, räumte Powell später ein, „wurde uns klar, was passiert, und da war es zu spät.“

Nachdem Saddam Kuwait besetzt hatte, galt die Hauptsorge Washingtons Saudi-Arabien. Die größten Ölfelder des Landes lagen in der Reichweite der irakischen Truppen. Präsident Bush, der noch am 2. August beteuert hatte, „wir reden nicht über eine militärische Intervention“, überraschte selbst seine engsten Mitarbeiter drei Tage später mit der öffentlich gemachten Aussage, die Invasion Kuwaits werde „keinen Bestand haben“. Powell: „Ich sah ihn im Fernsehen und sagte: Wow!“. Noch hoffte er, dass Saddam durch Sanktionen zum Rückzug bewegt werden könnte. Doch Bush entschied sich für die militärische Option.

Das war die Geburtsstunde der Powell-Doktrin: Wenn wir Truppen einsetzen, dann müssen diese eindeutig in der Übermacht sein. Oder, in seinen damaligen Worten: „Unsere Strategie gegen diese Armee ist ganz, ganz simpel: Erst schneiden wir ihr den Weg ab, dann killen wir sie!“ Später wurde diesem Axiom hinzugefügt, dass die Ziele des Einsatzes und sein Ende klar umrissen sein müssen. Vor allem der dritte Punkt sorgte nach dem 38-tägigen Luftkrieg und dem 100-stündigen mörderischen Feldzug für endlose Debatten: War es richtig, einem Waffenstillstand zuzustimmen, der Saddam an der Macht erhält? Hätten Schwarzkopfs Soldaten nicht bis Bagdad marschieren sollen? Er selbst hätte es sich gewünscht.

Colin Powell war aus drei Gründen anderer Ansicht: Iraks Armee war so weit geschwächt, dass sie keine ernsthaft bedrohliche Macht mehr darstellte, die arabischen Verbündeten in der Anti-Saddam-Koalition waren gegen eine Zerschlagung des Irak, und die künftige Sicherheit Kuwaits konnte nur durch politische Übereinkünfte garantiert werden. Leider habe die Dämonisierung Saddams durch Präsident Bush aber der US-Bevölkerung diese Einsichten verstellt.

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