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Die Rettung fürs Mühlenberger Loch ist nahe

■ A380: OVG sieht zu viele offene Fragen für ein Eilverfahren und verlangt Klarstellungen von Stadt und Airbus. VG hält Planfeststellung für rechtswidrig

Die Rettung des Mühlenberger Lochs wird wahrscheinlicher, das „Jahrhundertprojekt A380“ steht auf der Kippe: Zwei Gerichte gaben dem Airbus-Konzern EADS und dem Senat gestern ganz harte juristische Nüsse zu knacken. Beide wurden vom Oberverwaltungsgericht (OVG) zu einer Reihe von „Klarstellungen ihrer Interessen“ aufgefordert. Zugleich deutete es an, kein Eilurteil fällen zu wollen. Und das Verwaltungsgericht (VG) erklärte in zwei Fällen den Planfeststellungsbeschluss der Stadt zur Erweiterung der Airbus-Werft Finkenwerder für „rechtswidrig“.

Das OVG behandelt die Beschwerde der Wirtschaftsbehörde gegen zwei Beschlüsse des VG vom 18. Dezember, in denen zwei Klagen auf vorläufigen Baustopp im Mühlenberger Loch stattgegeben worden war. Bis zum „23. Januar 2001, 8.30 Uhr“ sollen nun EADS und Senat definitiv erklären, ob ein Urteil nach dem 15. Februar zur „Erledigung der Hauptsache“ führe.

In gewundenen Formulierungen hatte EADS vom OVG bis zu diesem Termin Planungssicherheit angemahnt. Ansonsten würde die Verlagerung des A380-Projekts ins französische Toulouse „zum Gegenstand der Beschlussfassung in den Gremien“ des Konzerns gemacht werden. Das sei aber „nicht als Ultimatum“ zu verstehen. Als was dann, möchte das OVG nun gerne wissen. Denn es sei wegen der „schwierigen und grundsätzlichen Rechtsfragen“ zweifelhaft, ob sich „das Gericht“ bis Mitte Februar „eine hinreichend fundierte Meinung bilden kann“. Eine Eil-entscheidung sei in diesem kom-plexen Fall „nicht geeignet“.

Sollte EADS auf der Februar-Frist beharren, so lässt sich der OVG-Beschluss deuten, wäre der ganze Rechtsstreit hinfällig und Hamburg den Riesen-Flieger A380 los. Es sei denn, EADS wäre bereit, die rechtliche Beurteilung zum Beispiel des Fluglärms außen vor zu lassen. Denn es gebe die Möglichkeit, so das OVG, sich zunächst auf die Baumaßnahmen der Stadt im Mühlenberger Loch zu beschränken. Ob auf der zugeschütteten Fläche, sofern diese genehmigt würde, aber überhaupt der A380 gebaut werden dürfe, würde später zu bejahen oder zu verneinen sein.

Es ist mehr als zweifelhaft, dass EADS eine solche monatelange Rechtsunsicherheit in Kauf nehmen will und kann. Der Konzern steht selbst unter erheblichem Zeitdruck. Mit den Airlines, die bereits Exemplare des Riesenfliegers bestellt haben, wurden enge Lieferfristen vertraglich vereinbart. Diese dürften bei weiteren Verzögerungen in Finkenwerder nicht einzuhalten sein, wohl aber in Toulouse.

Zusätzlich zu diesen beiden Baustopp-Klagen, die jetzt in zweiter Instanz das OVG beschäftigen, hatte das VG am 10. Januar diesen Jahres auch den Antrag eines dritten Klägers akzeptiert. Dieser hatte sich gegen den zu erwartenden Fluglärm gewandt. Aus der gestern vorgelegten schriftlichen Begründung des VG erwächst Stadt und Konzern nun ein neues Problem.

Denn das Gericht beruft sich ausführlich auf europäische Naturschutzgesetze und erklärt die Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission vom April 2000 für „rechtlich nicht zulässig“. Mit dieser war das Bauvorhaben im Vogelschutzgebiet erlaubt worden. Die Genehmigung war in Anwendung der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat erfolgt – fälschlicherweise, wie das VG meint. Die Kommission hätte die „strengere“ EU-Vogelschutz-Richtlinie beachten und keine Ausnahme genehmigen dürfen. Deshalb verstoße der Planfeststellungsbeschluss „gegen Europarecht“ und sei „rechtswidrig“.

Die gleiche Auffassung wird in einem weiteren Beschluss über Klagen mehrerer Naturschutzverbände bekräftigt. Diese wurden zwar vorgestern abgelehnt, weil die Verbände formal keine Antragsbefugnis haben. Inhaltlich weist das VG aber auch hier auf die Rechtswidrigkeit der Planfeststellung wegen Verstoßes gegen europäisches Recht hin. In beiden Fällen fußt die Argumentation, so heißt es in der schriftlichen Begründung, auf der jüngsten und „dem Gericht inzwischen vorliegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 7. Dezember 2000“. Diese hatte die Zerstörung eines französischen Vogelschutzgebiets durch ein Großprojekt untersagt.

Damit sei „die Berufung Hamburgs auf die EU-Kommission entkräftet“, so das Fazit der Kläger-Anwälte Michael Günther und Rüdiger Nebelsieck. Das VG habe zudem ausdrücklich „in Kenntnis der Beschwerde“ geurteilt, welche die Wirtschaftsbehörde gegen die beiden Baustopp-Urteile vom Dezember vor dem OVG eingelegt hat. Sollte dieses vom VG „streitentscheidend abweichen wollen“, müsste es den Fall dem EuGH vorlegen. Und bis der entscheidet, vergehen gewöhnlich Jahre.

Dessen Urteil beziehe sich „auf einen völlig anderen Sachverhalt“, widerspricht Bernd Meyer, Sprecher der Wirtschaftsbehörde. Er gehe weiter von einem baldigen positiven Entscheid des OVG aus. Dafür aber gibt es immer weniger Indizien. Sven-Michael Veit

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