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JOSCHKA FISCHER UND SEIN VERHÄLTNIS ZUR GEWALT – IM KOSOVORecht auf Irrtum verwirkt

Joschka Fischer ist als Außenminister nicht länger tragbar. Er hat sich für den Einsatz von Gewalt ausgesprochen. Zu dieser Einstellung geht er bis heute nicht auf Distanz – obwohl sich die Behauptungen kaum noch aufrechterhalten lassen, mit denen er seine Position damals begründete, und obwohl die Gewalt offenbar noch weit dramatischere Folgen hatte als bisher angenommen werden musste.

Der Außenminister hat sich für die deutsche Beteiligung an der Bombardierung eines Landes eingesetzt, das weder die Bundesrepublik selbst noch einen Nato-Verbündeten angegriffen hatte. Die völkerrechtlich bindend vorgeschriebene Zustimmung der UNO erklärte er mit dem Argument für verzichtbar, nur so könne ein Völkermord verhindert werden. Damit stand er allerdings nicht alleine da, deshalb wäre es ungerecht, Vorwürfe im Zusammenhang mit der Billigung von Gewalt nur an seine Adresse zu richten. Vor allem Verteidigungsminister Rudolf Scharping kämpfte seinerzeit Seite an Seite mit Joschka Fischer.

Während der Kosovokrise lernte die Öffentlichkeit ein neues Wort: Kollateralschäden. Es bedeutet, dass in einem Krieg leider auch manches kaputtgeht, was nicht kaputtgehen soll, und dass Leute getötet werden, die eigentlich nicht sterben sollen. Seit sich die Hinweise darauf mehren, dass die Uranmunition der Nato mit Plutonium verunreinigt gewesen ist, steht zu befürchten, dass die Kollateralschäden noch steigen. Vor allem in den Reihen derer, denen zu helfen Deutschland in den Krieg gezogen sein will: der Zivilbevölkerung.

Um die Nato-Angriffe auf Jugoslawien zu rechtfertigen, wurde eine unter dem Namen „Hufeisenplan“ bekannt gewordene Strategie für einen angeblichen ethnischen Vernichtungskrieg der Serben vorgelegt. Inzwischen scheint festzustehen, dass dieser Plan eine Fälschung war. Der Verdacht des systematischen Völkermords wurde außerdem mit Greueltaten an Zivilisten wie dem Massaker von Račak begründet. Dem Urteil einer finnischen Expertenkommission zufolge hat dieses Massaker nicht stattgefunden.

Angeblich ist trotz aller Menschenrechtsverletzungen bis zur letzten Minute versucht worden, eine militärische Auseinandersetzung auf dem Verhandlungsweg zu vermeiden. Noch während des Kosovokrieges stellte sich jedoch heraus, dass ein militärischer Annex des Vertragsentwurfs von Rambouillet ein Besatzungsstatut für ganz Jugoslawien vorgesehen hatte. Diese Tatsache nährte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen, machte der Annex es doch, wie Rudolf Augstein seinerzeit schrieb, für jeden „Serben mit Schulbildung“ unmöglich, den Vertrag zu unterschreiben.

Nach wie vor ist unbestreitbar, dass im Kosovo schwere Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben. Kontrovers war und bleibt die Frage, ob militärische Gewalt das geeignete oder gar das einzige Mittel gewesen ist, um dem ein Ende zu bereiten. Ändern alle neuen Nachrichten daran gar nichts? Falls dem so sein sollte: Wie müssten Informationen beschaffen sein, die Mitglieder der Bundesregierung zu dem Eingeständnis veranlassen könnten, einen Irrweg beschritten zu haben?

Ein Recht auf politische Fehleinschätzungen ist jedem Menschen zuzugestehen, auch einem Minister. Wenn aber im Lichte neuer Erkenntnisse nicht einmal die erneute Erörterung einer früheren Entscheidung für nötig gehalten wird, dann verwirken die Beteiligten dieses Recht auf Irrtum. Während der Kosovokrise mussten sich Kriegsgegner unterstellen lassen, Menschenrechtsverletzungen gleichgültig gegenüberzustehen. Wenn sie heute die Frage nach der Legitimität der Militäroperation stellen, dann wird ihnen der Vorwurf der Rechthaberei gemacht.

Die politische Klasse hat nämlich andere Sorgen: ob sich Joschka Fischer in geeigneter Form von seiner Vergangenheit als Straßenkämpfer distanziert hat. Wenn es ein Argument gegen seinen Rücktritt und den von Verteidigungsminister Scharping gibt, dann sind es die Prioritäten, die derzeit von der Opposition gesetzt werden. Verständlicherweise gesetzt werden: Auch sie hat den Einsatz der militärischen Gewalt gebilligt. Die Öffentlichkeit, seinerzeit in der Frage der Kriegsbeteiligung gespalten, nimmt die Rangfolge der Themen widerspruchslos hin. „Der Deutsche ist von unübertrefflicher Regierbarkeit“, schrieb der Publizist Maximilian Harden im Jahre 1909. Das stimmt auch heute noch. BETTINA GAUS

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