Nur nicht kaufen lassen

Was heißt eigentlich „unabhängige Bewertung“ von Unternehmen? Wer eine Firma untersuchen und einschätzen soll, mit der er geschäftlich oder persönlich verbunden ist, wird unglaubwürdig. Konflikte können auch zu juristischen Zeitbomben werden

Institute und Agenturen, die die ökologische oder soziale Verantwortung von Unternehmen bewerten, müssen in jeder Hinsicht von den Unternehmen unabhängig sein, mit denen sie sich befassen – so sollte man jedenfalls meinen. In der Praxis sieht dies allerdings häufig anders aus. Wenn man „Unabhängigkeit“ mit dem Fehlen von organisatorisch-juristischen Beziehungen, gleichen ökonomischen Interessen oder personellen Verflechtungen gleichsetzt, dann wird gegen diese Prinzipien häufig verstoßen.

Bereits in den „Gründerjahren“ des Öko-Ratings in Deutschland wurde problematisiert, dass Pioniere dieses Ansatzes wie beispielsweise die Züricher Eco-Rating International prinzipiell von der Finanzierung ihrer Arbeit durch die zu bewertenden Unternehmen ausgingen. „Unabhängiger Bewerter“ und gleichzeitig „bezahlter Lieferant einer Dienstleistung“ zu sein, minderte die Glaubwürdigkeit der Bewertungen bei allen, die mit dem Prinzip „wer zahlt, bestimmt“ schon Erfahrungen gemacht hatten. Der Hinweis, dass auch konventionelle, finanziell ausgerichtete Rating-Agenturen so arbeiten, kann diese Bedenken nicht zerstreuen. Im Unterschied zum finanziellen Rating von Unternehmen sind Methoden und Kriterien der Bewertung von ökologischer und sozialer Verantwortung in keiner Weise standardisiert. Die dadurch entstehenden Interpretationsspielräume sind in Verbindung mit dem kommerziellen Motiv, keinen Kunden verlieren zu wollen, besonders problematisch.

Eine andere Spielart möglicher Abhängigkeit stellt die gleichzeitige Bewertung und Beratung von Unternehmen dar. So hat etwa das Hamburger Umwelt Institut (HUI) Ende 1999 zum dritten Mal seine Bewertung der Top 50 der Chemieunternehmen vorgelegt. Die vom gleichen Geschäftsführer geleitete EPEA GmbH verdient ihr Geld im Beratungsgeschäft und weist in ihrer Kundenliste zum Beispiel stolz auf die Entwicklung einer Produktlinie mit dem Kosmetikunternehmen Elida Fabergé hin. Ein Schelm, wer annimmt, dass Unilever, die Muttergesellschaft von Elida, ausgerechnet deshalb in der Hitliste des HUI die Spitzengruppe der umweltbewussten „Öko-Trendsetter“ erreicht hat. Aber kann man die vorurteilsfreie öffentliche Bewertung einer Unternehmung, die zahlender Kunde ist, in jedem Falle voraussetzen?

Einen ähnlichen Weg hat das Institut für Markt, Umwelt, Gesellschaft (imug) in Hannover eingeschlagen. Ursprünglich nur als gemeinnütziges Institut tätig, wurde mit der Gründung einer GmbH ähnlichen Namens seit 1995 auch der Markt der Unternehmensberatung erfolgreich bearbeitet. Das vom Institut entwickelte Instrument des „sozial-ökologischen Unternehmenstests“ wurde zunächst nicht in den gleichen Branchen und nicht bei den gleichen Unternehmen wie die Beratung angewendet. Dieses Prinzip ist allerdings inzwischen durchbrochen worden, und insbesondere mit der jüngsten Entwicklung des Geschäftsbereichs „imug investment research“ kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass die von der Research-Abteilung bewerteten Unternehmen gleichzeitig als gute Beratungskunden im Hause ein- und ausgehen.

Die Verquickung von Bewertung und Beratung erscheint nicht nur politisch problematisch, sie ist auch fachlich bedenklich (der Wissenschaftler Frank Figge spricht hier vom so genannten Agentur-Risiko, das der Kunde eingeht, der sich darauf einlässt) – und sie bedeutet gegebenenfalls auch eine juristische Zeitbombe. Negativ bewertete Unternehmen könnten aus einem etwaigen Rechtsstreit Vorteile ziehen.

Auch der Interessenkonflikt zwischen „Bewerter“ und „Investor“ kommt in der Praxis vor. So leben und arbeiten bei der Schweizer SAM Sustainability Group die Researcher und Bewerter einträchtig mit dem SAM Asset Management unter dem gleichen Dach. Bei Wirtschaftsredakteuren wird gegenwärtig eine Standesregel diskutiert und umkämpft, nach der sie die Namen der Unternehmen offenlegen müssen, von denen sie Aktien besitzen. Im Handelsblatt-Verlag wird sogar angestrebt, dass Redakteure nicht mehr über Unternehmen berichten, an denen sie selbst Aktien halten. Wann wird ein derartiger Gedanke auch die „ethischen Bewerter“ erreichen?

Nach allen Erfahrungen wird die Antwort vieler Agenturen auf eine derartige Kritik wahrscheinlich sein, dass sie mit der üblichen Empörung und „brutalstmöglicher Transparenz“ reagieren. Einen Eindruck davon erhält man bereits, wenn man sich den jüngsten Report der britischen Agentur „SustainAbility“ ansieht, in dem die so genannten Nachhaltigkeitsberichte von Großunternehmen bewertet wurden. In einer Tabelle am Ende des Berichtes wird angegeben, ob es sich bei den Unternehmen um Kunden oder Sponsoren von „SustainAbility“ handelt. Das Problem ist damit natürlich keinesfalls gelöst. Der Leser weiß genauso wenig wie vorher, ob die Tatsache der Abhängigkeit zwischen Bewertern und Unternehmen das Urteil verfälscht hat oder nicht.

Den einzigen sauberen Ausweg macht uns eine klassische deutsche Bewertungsorganisation vor: Bei der Stiftung Warentest sind seit eh und je Nebentätigkeiten der Mitarbeiter für Unternehmen untersagt, die Zeitschrift ist grundsätzlich werbefrei, und Sponsoring-Beziehungen werden selbstverständlich nicht eingegangen. Vielleicht etwas altmodisch, aber seit 36 Jahren bewährt.

VOLKMAR LÜBKE