wahnsinn: Die Grüne Woche
Blumenhölle mit Moosausgang
Wer denkt, auf der „Grünen Woche“ sei schon lange nichts mehr grün, der irrt. Das Thema Pflanze und Garten findet sich gleich in mehreren Hallen. Zwei struppige Rentnerinnen sagen, sie seien überhaupt nur „wegen der schönen Blumen“ hier.
Um diese zu erreichen, muss der Messebesucher allerdings erst durch die Gartenmöbelabteilung. Hier werden eintönige Rasenmähervideos gezeigt. Schicke Hollywoodschaukeln hat man auch schon anderswo gesehen. Der Vertreter einer Zaunanlagenfirma lässt seinen elektrischen Zaun immer wieder monoton auf- und zufahren. Vielleicht hat die Messeleitung wegen dieser vorgeschalteten Langeweile für die Halle 9b den dramatischen Namen „Blumenhölle am Vulkan“ wählen müssen. So etwas zieht natürlich immer Publikum an.
Die Blumenhölle ist ein fensterloser Raum mit einer künstlichen Vulkanlandschaft. Sie ist vermutlich aus einer Kooperation zwischen Berliner Gärtnern und Bühnenbauern der Stella Musical AG entstanden. Die versprochenen Orchideen, Flamingoblumen, Wasserhyazinthen und Papyrusstauden sind im Dunkeln schwer zu erkennen. Dafür blitzen rote und gelbe Scheinwerfer, Trockeneisnebel zieht herüber, aus den Lautsprechern grollt es mysteriös. Eine Besucherin findet die schwach beleuchteten Lotosblütenbeete trotzdem „sehr romantisch“. Auch am Notausgang hängt Moos. Rüde wirft einen das harte Neonlicht der nächsten Halle zurück in die Welt des kaufbaren Gartenglücks.
Zwischen Kompostsilos, Blumenzwiebeln und Häckselmaschinen wartet der Bezirksverband der Kleingärtner Wilmersdorf auf Kundschaft. Die Verbandsmitglieder haben auf ihrem Messebereich ein rustikales Häuschen aufgebaut. In den Rasen ist ein Sandkasten eingelassen. Um einen schmalen Teich schlängelt sich eine Miniatureisenbahn. Interessenten für diese Form der Freizeitgestaltung können sich an die Laubenkolonien in Neukölln wenden. Dort seien noch Grundstücke zu vermieten, sagt die Frau vom Kleingartenverband. Vielen Messebesuchern gibt dieser Hinweis gute Hoffnung auf eine zufriedene Zukunft in der städtischen Natur.
Andere Pflanzenliebhaber sind einfach nur müde. Sie ruhen sich in den weiten Kohl- und Rapsfeldern der Halle 23 aus. Für angenehmes Hintergrundrauschen sorgt die Stimme der Expertin von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Mit hübschen Sätzen wie „wenn Zwiebeln rascheln, kann man sie gut lagern“ oder „ich klopfe bei der Melone an“ erteilt sie Verbrauchern kluge Einkaufsstrategien für Obst und Gemüse. Die Seele entspannt.
Die anderen Hallen scheinen den meisten Besuchern nach dieser Pause besonders anstrengend. Wenige schlendern noch in die Whirlpoolabteilung. Manche kaufen sich zum Abschied eine japanische Wunderblume oder ein Lavendelsäckchen. Die Lavendelverkäuferin meint: „Es ist wissenschaftlich erwiesen: Mit Lavendel schlafen Sie besser.“ Sie hat ein weiches Gesicht und eine tröstende Stimme.
KIRSTEN KÜPPERS
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