: Der heilige Krieg des Antonescu
Rückkehr nach Europa (III): Rumäniens Schatten der Vergangenheit wächst. Obwohl die jüdische Minderheit auf ein Häuflein alter Leute geschrumpft ist, wird sie für alles Scheitern bis hin zur postkommunistischen Verelendung verantwortlich gemacht
von WILLIAM TOTOK
Es sind die gleichen, deprimierenden Bilder, die seit zehn Jahren die Berichte aus Rumänien begleiten. Sie handeln von Armut, von Korruption, von wirtschaftlicher Stagnation und schamloser Oligarchie, von mafiosen Zuständen, von Fatalismus, von Vetternwirtschaft, Kriminalität, verwahrlosten Straßenkindern, von pogromartigen Überfällen auf Roma und immer wieder von einem ausufernden neuen Nationalismus.
Die postkommunistischen Machthaber versprachen großmundig, die lang ersehnte Wende herbeizuführen. Die katastrophalen Bilanzen aller Nachwenderegierungen bestätigten aber nur die fehlende Aussicht auf ein wirtschaftliches, politisches und soziales Tauwetter, das den Anschluss des Landes an Europa herbeiführen würde.
Europa und die atlantische Integration sind die magischen Worte, die den öffentlichen Diskurs beherrschen. Damit sind die abstrakten Sehnsüchte und wirklichkeitsfremden Hoffnungen einer deprimierten Wählerschaft nach Wohlstand und sozialer Sicherheit verknüpft, die aber noch nicht bereit ist, die westlichen Werte zu akzeptieren. Ein Teufelskreis.
Geistig orthodox
Bei den im vergangenen Jahr stattgefundenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat ein Drittel der Wähler für die neofaschistische Partei Großrumänien (PRM) gestimmt. Die Wahlergebnisse waren ein schwer wiegendes politisches Debakel und ein Armutszeugnis für die politische Klasse und die Intellektuellen, die sich das Wort Demokratie auf die Fahnen geschrieben haben. Rumänien ist ein Land der politischen Paradoxe. Ein Land, das geografisch zwar in Europa liegt, aber geistig tief in den orthodoxen und levantinischen Traditionen verankert ist, die eine archaische Autoritätsgläubigkeit und ein unzeitgemäßes patriarchalisches Denken begünstigen. Darauf bauen die rückwärtsgewandten völkischen Konzepte auf, die nicht nur von den populistischen Ideologen der einzelnen Parteien in praktische Politik umgesetzt werden. Sie spiegeln leider auch das zweifelhafte Kokettieren mit nationalistischen Ideen wider, die den Diskurs jener Intellektuellen beherrschen, die vorgeben, im Namen einer nur in Ansätzen existierenden „zivilen Gesellschaft“ zu sprechen.
Der Geist nach Ceaușescu
Vom nationalkommunistischen Ceaușescu-Regime ist bloß der Nationalismus übrig geblieben. Er entwickelte sich zu einer parteiübergreifenden Ideologie, deren radikalste Form die großrumänische Partei verkörpert.
An der Spitze dieser Partei steht der Schriftsteller Corneliu Vadim Tudor. Er war vor 1989 weniger durch seine abgeschmackten Lobeshymnen auf Ceaușescu aufgefallen, die sich kaum von jenen seiner Zunftsgenossen abhoben, sondern vielmehr durch seine militanten antisemitischen Gedichte und Aufsätze. Seine ressentimentgeladenen Texte entsprachen dem Geist einer ultranationalistischen Tradition, die das intellektuelle und politische Klima der Zeit zwischen den Weltkriegen dominierte und somit Rumänien nicht zufällig zum treuesten Verbündeten Hitlers machte.
Um sich nachhaltig vom untergegangenen Kommunismus abzugrenzen, beriefen sich nach der Wende fast alle wichtigen Parteien auf die Traditionen aus der mythisch verklärten Zeit von vor 1945. Mit einem radikalen Schlussstrich versuchten auch die einflussreichen Intellektuellenkreise ihre Abgrenzung von dem früheren Ceaușescu-System zu markieren, das sie durch ihren opportunistischen Konformismus und ihr fatalistisches Schweigen mit zu verantworten hatten. Die intellektuelle Abrechnung mit dem Kommunismus äußerte sich in Gefälligkeitsgesten gegenüber einer fragwürdigen geistigen Elite, die nach 1945 marginalisiert, isoliert und zensiert war. Die faschistoiden Schriften jener Leute, die bis 1945 zu den intellektuellen Wegbereitern des rumänischen Faschismus gehörten, überschwemmten den Büchermarkt. Zweifelhafte politische Persönlichkeiten, wie der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtete militärfaschistische Diktator und Hitler-Verbündete, Ion Antonescu, erfreuten sich einer unangemessenen postumen Popularität dank der zielstrebigen Propagandatätigkeit von Intellektuellen, die sich nach der Wende schlagartig in kompromisslose Antikommunisten verwandelt hatten und dadurch ihre eigenen schuldhaften Verstrickungen mit dem untergegangenen System zu beschönigen versuchten.
Faschismus-Recycling
Einer davon ist Professor Dr. Gheorghe Buzatu, korrespondierendes Mitglied der Akademie, Leiter eines historischen Instituts, Vorsitzender der Liga „Marschall Ion Antonescu“ und seit vergangenem Jahr Vizepräsident des Senats (der ersten Kammer des Parlaments, in das er als Mitglied des großrumänischen Partei eingezogen ist). Im letzten Jahrzehnt sorgte er wie kaum ein anderer Historiker für das akademische Recycling der faschistischen Antonescu-Diktatur. Er ist nicht wie der Chef seiner großrumänischen Partei, Corneliu Vadim Tudor, ein mit Charisma und rednerischen Talenten gesegneter Politiker, sondern wirkt bei seinen öffentlichen Auftritten eher zurückhaltend und bescheiden, ja sogar etwas unbeholfen und schüchtern.
Wenn Buzatu seine immer mit archivalischen Dokumenten untermauerten Argumente sachlich vorträgt, scheint er besonnen, vernünftig und überzeugend zu sein. Vielleicht fehlte er auch deshalb nur selten in einer der populären Talkrunden rumänischer Fernsehsender, in denen historische Themen zur Debatte standen und in denen eine Rehabilitierung Antonescus angestrebt wurde. Hinter der Maske des auf Sachlichkeit bedachten Wissenschaftlers verbreitete er seine Ansichten im Stil eines defensiven Spielers. Ohne ausfällig zu werden, artikulierte er aber immer seine Antipathie gegen Kritiker des Antonescu-Regimes, indem er ihnen Dilettantismus, tendenziöse Unwissenschaftlichkeit und einen unterschwelligen Antirumänismus vorhielt.
Mit seinen Schriften und Aussagen düngte Buzatu nicht nur den Nährboden der großrumänischen Ideologie und vergrößerte die Rekrutierungsbasis dieser neofaschistischen Organisation, sondern schürte auch irrationale Ängste vor der euroatlantischen Integration, dem multikulturellen westlichen Wertekanon und der Globalisierung – die im kruden Stil seiner Parteifreunde nichts anderes als ein von „okkulten“ Kräften geplanter Anschlag auf die nationale Identität des Volkes beinhalten.
Das Wort „okkult“ gehört übrigens auch zu den Lieblingsvokabeln vieler anderer rumänischer Kommentatoren, die der großrumänischen Organisation durchaus kritisch gegenüberstehen.
Mit „okkult“ ist nicht nur eine von Juden und Freimaurern geplante identitätsunterwandernde „neue Weltordnung“ gemeint, sondern auch eine speziell gegen Rumänien gerichtete internationale Verschwörung. Zu den Agenten dieser antirumänischen Verschwörung zählen in erster Linie die Juden und deren „rumänische Handlanger“. In der Lesart der großrumänischen Parteipropaganda waren die Juden sowohl für die Einführung des Kommunismus verantwortlich als auch am Sturz des nationalen Ceaușescu-Regimes. Obwohl die tatsächlich in Rumänien verbliebene jüdische Minderheit auf ein Häuflein zumeist alter Leute geschrumpft ist, wird dieser Bevölkerungsgruppe zuweilen sogar die postkommunistische Verelendung angelastet. Die Juden und ihre internationalen Verbündeten werden nicht nur für die Hinrichtung des faschistischen Diktators Antonescu verantwortlich gemacht, sondern auch für die Inszenierung des Schauprozesses gegen den „Patrioten“ Ceaușescu und die anschließende Vollstreckung des Todesurteils.
Intellektuelle wie Gheorghe Buzata berufen sich auf den zum Nationalheiligen verklärten Antonescu, um den Kommunismus und den Kapitalismus westlichen Zuschnitts als eine von Juden erfundene Ideologie zu delegitimieren. Auf diese Weise fördern sie die in breiten Schichten der Bevölkerung unterschwellig vorhandenen antisemitischen Vorurteile, bestätigen rassistische Ansichten, schüren Überfremdungsängste und schaffen den Rahmen für nationalistische Abschottungsfantasien.
România Mare
Der von Antonescu initiierte rumänische Holocaust, dem mehr als 400.000 Juden zum Opfer gefallen sind, wird somit nicht nur hartnäckig geleugnet und verharmlost, sondern als eine Propagandalüge der Feinde Rumäniens zurückgewiesen. Im Sprachjargon der Zeitschrift România Mare (Großrumänien), dem wichtigsten Organ der gleichnamigen Partei – werden diese „Feinde“ als Leute, die an „Antirumänismus leiden“, abgekanzelt und ihnen mit repressiven Maßnahmen gedroht. „Wir werden wieder das sein, was wir einst waren, und sogar noch mehr“, verspricht das Motto, das wöchentlich auf der Titelseite des großrumänischen Parteiblattes prangt.
Der einem mittelalterlichen rumänischen Fürsten zugeschriebene Ausspruch ist auf die parteipolitische Tat fixiert, die Tudor und seine Gesinnungsgenossen durch eine „Diktatur des Gesetzes“ umzusetzen versprechen. Rhetorisch verpackte Formeln wie „Rumänien kann nur mit dem Maschinengewehr regiert werden“ oder „Zigeuner ins Arbeitslager“ lassen erahnen, was ein Rechtsextremist wie Tudor im Falle einer Machtübernahme tatsächlich anrichten würde.
Geschliffen rassistisch
Buzatu, der durch seinen objektivistischen Tonfall wie kein anderer zur Intellektualisierung des rechtsextremen und revisionistischen Diskurses beigetragen hat, gießt die dumpfen rassistischen Sprachreflexe und politischen Drohgebärden seiner Partei in die geschliffene Form von Geschichtstheorien. Die Verherrlichung von Antonescus antisemitischen Greueltaten, sein „heiliger Krieg“ gegen die Sowjetunion sowie die von ihm angeordnete radikale Lösung der „Zigeuner- und Judenfrage“ werden somit zu Chiffren eines ethischen Dammbruchs, den die zivile Gesellschaft durch ihr zögerliches Verhalten, ihr Kokettieren mit antidemokratischen, historisch kompromittierten politischen Persönlichkeiten und rechtslastigen Konzepten mit verursacht hat.
Es bleibt abzuwarten, wie Buzata als Parlamentarier den populistischen Aktionismus seiner Partei, die auf Druck des Westens von den regierenden Wendekommunisten im Parlament quasi isoliert wurde, in praktische Politik umsetzt. Präsident Iliescus Minderheitsregierung signalisierte ihre Bereitschaft, den Brückenschlag zu den Großrumänen zu vermeiden. Trotzdem machte Iliescu bereits eine erste, wenn auch nur verbale Konzession, als er vor wenigen Tagen während einer Gedenkfeier für jüdische Pogromopfer von 1941 von übertriebenen Opferzahlen sprach, die Rumänien zu Unrecht angelastet würden.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme 1989/90 bedeutete für viele Staaten Mittel- und Osteuropas den Startschuss für ihre „Rückkehr nach Europa“. Diese Rückkehr manifestiert sich konkret in den Beitrittsverhandlungen, die die Europäische Union mit zehn dieser Länder führt. Im Vordergrund stehen politisch-ökonomische Fragen. Doch wie der Streit um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Tschechien zeigt, interessieren mehr denn je Fragen nach der politischen Kultur dieser Länder. Der Eigensinn steckt auch hier in Details, denen wir in einer Folge von Artikeln nachgehen wollen. Am 15. Januar analysierte Gabriele Lesser das polnische Wort „Ende“, und am 23. Januar beleuchtete Magdalena Marsovsky die Medienpolitik der positiven Diskriminierung in Ungarn.
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