: „Das sind die pickeligen Heinis von der Schüler-Union“
Parteienforscher Franz Walter über den Zustand der CDU: Eine Vorsitzende, die den „Urstoff der Partei“ nicht kennt, eine Führungsgeneration, die Wunden der Vergangenheit leckt
taz: 68er Debatte, Fahndungsplakat, Merz-Stänkereien – was ist das größte Problem der CDU?
Franz Walter: Das zentrale Problem der CDU ist ein Generationsproblem – alle anderen Schwierigkeiten ergeben sich daraus.
Die CDU hat doch gerade einen Generationswechsel hinter sich.
Genau. Damit wird die CDU erstmals von einer Mannschaft geführt, die in ihrer eigenen Generation nie eine Mehrheit bei den Wählern fand. Es ist enorm schwer, aus dieser Position eine gesellschaftliche Mehrheit zu gewinnen.
An wen denken Sie da?
Rüttgers, Merz, Wulff, Koch sind alle Mitte der 50er-Jahre geboren. Sie wurden Mitte, Ende der 70er-Jahre sozialisiert. Als CDUler wurden sie in ihrer Generation ausgelacht – in den Gymnasien saßen doch lauter spätere Grüne rum. Da hieß es über konservative Jugendliche: Das sind die pickeligen Heinis von der Schüler-Union. Diese Kränkung sitzt tief. Deshalb haben sich viele Christdemokraten aus dieser Generation so freudig über Fischer, Trittin und Co. erregt.
Hat die CDU mit der Diskussion um das Erbe der 68er letztlich Punkte machen können?
Im Gegenteil. Strategisch war die Wirkung in jeder Hinsicht fatal: Die Grünen haben sich in den Umfragen stabilisiert, die Partei ist zusammengerückt. Vorher waren die Mitglieder doch durch die Regierungsbeteiligung in ihrer Identität völlig verunsichert. Außerdem hat sich die Abkoppelung Joschka Fischers von der grünen Kernklientel verringert.
Aber das alte Feindbild von den Steinewerfern lebt wieder auf.
Damit haben Merkel und Meyer die Grünen doch nur als Partner der SPD stabilisiert. Wenn die CDU jemals auf einen Koalitionspartner Grüne geschielt hat, kann sie das fürs Erste wieder vergessen.
Koalitionspolitiker fürchten, die Wähler der Mitte könnten verunsichert sein.
Ich glaube das nicht. Vielen Managern zum Beispiel imponiert Fischer, weil er sich durchgebissen hat. In Teilen dieses leistungsorientierten, durchsetzungsfähigen, ökonomisch harten Bürgertums heißt es, Fischers Weg war nicht immer gerade, aber er führte nach oben. So wünscht man sich das später mal für die eigenen Söhne.
Richtig schlecht war das Echo in der bürgerlichen Mitte auf das „Fahndungsplakat“. Kennt Angela Merkel ihre eigene Klientel nicht?
Die Aufgabe eines Parteiführers besteht darin, immer wieder aus dem Urstoff der Partei die zwei, drei Botschaften zu schöpfen, die die Anhänger gerade mitreißen können. Wenn die Vorsitzende diesen Urstoff nicht kennt, weil sie nicht darin groß geworden ist, wird sie unsicher und macht eine Menge Fehler. Man merkt Frau Merkel an, dass sie sucht, sich orientiert. Ein Parteiführer sollte das eigentlich schon hinter sich haben.
Als Merkel Kohls Nachfolge antrat, galt ihre Unbelecktheit noch als Tugend.
Ja, aber es war von Anfang an Unfug zu glauben, sie werde nun unermüdlich für Reformen streiten. Sie ist eine erdige Pfarrerstochter, keine Johanna von Orleans.
Selbst ihre Gegner bescheinigen ihr Lernfähigkeit.
Aber in ihrer Unsicherheit verschanzt sie sich ähnlich wie Kohl. Angela Merkel ist enorm misstrauisch. Sie fühlt sich von allen möglichen Gegnern umstellt. Sie glaubt, der Merz spielt sein eigenes Spiel, der Generalsekretär auch, CSU-Chef Stoiber ohnehin und die Fraktion fremdelt mit ihr. Deswegen sucht sie sich Berater von außen – und deren Rat überfordert oft die eigene Klientel.
Für den Draht zur Basis hat sie Laurenz Meyer. Der kommt als Nordrhein-Westfale doch aus dem westlichsten Westdeutschland.
Ich komme selbst aus NRW, und aus Meyers Zeit in Düsseldorf ist bekannt, dass er kein Stratege ist, kein Programmatiker, erst recht kein Mann, der Merkels Anspruch erfüllen kann, die CDU für neue Themen und Wähler zu öffnen.
Könnte Friedrich Merz es besser als Merkel und Meyer?
Ach Gott, nein. Oppositionsführer haben immer etwas Nörgelndes, Hämisches, Kleinkariertes. Das strahlt nicht aus – schon gar nicht auf die eher unpolitischen Mainstream-Wähler.
Keine Rettung für die CDU in Sicht?
2002 wird es keinen christdemokratischen Bundeskanzler geben. Wenn nicht Gerhard Schröder ein Molotow-Cocktail geworfen hat.
INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ
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