: Künasts EU-Debüt
Erstmals begegnet die neue Ministerin ihren Agrarkollegen in Brüssel: Massenkeulen im Zuge der BSE-Krise als Feuerprobe für grüne Prinzipien
BRÜSSEL taz ■ Bei ihrem ersten Auftritt als Ministerin beim Agrarrat in Brüssel machte sich Renate Künast gestern selbst Mut: „Wer die Grüne Woche überstanden hat, schafft auch das hier.“ Tatsächlich muss Verbraucher- und Agrarministerin Künast nach den Beratungen mit ihren europäischen Ministerkollegen mehrere Entscheidungen treffen, die ihre ökologischen Politikziele gefährden könnten.
Sollte sich Deutschland am EU-Massentötungsprogramm beteiligen, führt eine grüne Agrarministerin den Zynismus ihrer Vorgänger fort: Wenn der Markt überschwemmt ist, werden die Lebensmittel vernichtet, um den Preis stabil zu halten. „Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich als Ministerin versucht, für Deutschland eine Ausnahmeregelung zu bekommen. Angesichts der Marktlage sehe ich aber schwarz“, sagte Künast.
Der grünen Ministerin, die Alleingänge der Bundesländer bei der Subvention des Rindfleischpreises ablehnt, bereiten auch die Kompensationszahlungen für Landwirte gemischte Gefühle. Eine Milliarde Euro will die EU-Kommission zusätzlich ausgeben, um Bauern ihre unverkäuflichen Tiere zum Marktpreis abzukaufen. Agrarkommissar Fischler betonte aber, dass dieses Geld nicht ausreichen wird. Er mahnte Maßnahmen zur Senkung der Rindfleischproduktion an. Wenn in einem Mitgliedsstaat der Rindfleischpreis unter 60 Prozent von 5.100 Mark pro Tonne fällt, muss die EU eingreifen. In Deutschland war es vorige Woche so weit.
Da sich die EU-Regierungschefs 1999 auf dem Berliner Gipfel auf strenge Ausgabendisziplin einigten und nicht mehr als 1,27 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts für Gemeinschaftsaufgaben ausgeben, muss das Geld aus anderen Bereichen umgeschichtet werden. Fischler hat schon angekündigt, dass dafür andere Fördermaßnahmen im Agrarbudget gestrichen werden müssen.
Hinter dem von Fischler verplanten Titel „Förderung der Strukturreform in der Landwirtschaft“ versteckt sich das Geld, mit dem Künast den Wahnsinn industrieller Nahrungsproduktion beenden will: Gütesiegel, Extensivierung, Subventionen für ökologisches Wirtschaften und Landschaftspflege. „Wenn die Mittel, die zur Umstrukturierung der Landwirtschaft vorgesehen waren, für Stützkäufe ausgegeben werden, haben wir uns selber ins Knie geschossen.“
Von der schwedischen Vorsitzenden des Agrarrats, Margareta Winberg, erhofft sich Künast Unterstützung. Sie will im Kreis der neuen Kollegen dafür werben, das Testalter für BSE auf 24 Monate zu senken und Risikomaterial wie Rückenmark, Herz und Lunge auch bei Tieren entfernen zu lassen, die jünger als 12 Monate sind. Mit Österreich fordert Deutschland, die vier noch erlaubten Antibiotika in der Schweinezucht zu verbieten. „Schweinedoping“ dürfe es nicht geben. Das, so Künast listig, habe den Nebeneffekt, dass die Züchter künftig mehr auf Hygiene achten müssten und nicht mehr so viele Tiere auf engstem Raum zusammensperren könnten – ein Hauptanliegen grüner Politik. DANIELA WEINGÄRTNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen