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Magisches Sechseck

Verbraucher, Bauern, Handel, Politik, Ernährungs- und Futtermittelindustrie: Künast bedient alle

von MATTHIAS URBACH

Die Ministerin lernt schnell. Nicht einmal einen Monat ist Renate Künast als Verbraucher- und Landwirtschaftsministerin im Amt. Und trotzdem legte sie gestern eine Regierungserklärung vor, die kaum Fragen offen ließ.

Es liegen Welten zwischen dieser und Künasts erster Rede in diesem Haus vor erst drei Wochen. Damals gab sie nur ein kurzes Statement ab und musste hinterher Platz nehmen – ganz allein auf der völlig leeren Regierungsbank. Die Bilder gingen durch die Presse, wirkten wie ein böses Omen. Da ist sie, die Großstadtpolitikerin, die bis vor kurzem im grünen Parteichef-Tandem die Agrar- und Umweltpolitik noch Fritz Kuhn überlassen hatte. Da sitzt sie, ganz allein gegen die mächtigen Agrar- und Handelslobbyisten.

Drei Wochen war Künast fast täglich im Fernsehen zu sehen. Mal eröffnete sie die Grüne Woche, dann pokerte sie im Brüsseler Agrarrat oder stritt bei Sabine Christiansen. Stets mit Rändern unter den Augen, dass der Zuschauer unwillkürlich jeden Moment damit rechnete, auch sie könnte sich wie Andrea Fischer verstricken in den wissenschaftlichen und technischen Abgründen von Seperatorenfleisch und Rinderfettdruckbehandlung, im unkalkulierbaren Zusammenspiel träger Bürokratie und hysterischer Medienberichte. Gestern dann: Die Regierungsbank ist voll besetzt. Und der Kanzler ließ es sich nicht nehmen, Künast als Erster zu gratulieren.

In vier Wochen gelang es Künast nicht nur, im Zusammenspiel mit dem Kanzleramt eine Agrarwende-Strategie zu entwickeln, für die man vor einem Vierteljahr selbst bei den Grünen noch als Phantast abgestempelt worden wäre. Es gelang ihr auch – trotz des polarisierenden Kanzlerwortes von den „Agrarfabriken“ – alle Interessengruppen an einen Tisch zu bringen. Taktisch geschickt empfing sie zwei Tage vor ihrer Regierungserklärung zusammen mit Hans Martin Bury, Staatsminister im Kanzleramt, Lobbyisten zum Abendessen: von Bauern über Handel bis zu den Verbrauchern. Und schwor sie auf ein gemeinsames Vorgehen in der BSE-Krise ein. So vorbereitet goutierte gestern selbst der notorisch bremsende Bauernverband Künasts Regierungserklärung: Man sehe in der Rede das ernst gemeinte Angebot zum Dialog, erklärte Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. Man sei bereit zur „umfassenden Diskussion“ – auch über Umweltschutz.

Möglich wurde das natürlich erst durch den 24. November, als per Schnelltest der erste BSE-Fall in Deutschland diagnostiziert wurde. Seit dem kennt Deutschland keine Politiker und keine Lobbyisten mehr, sondern nur noch Verbraucher. Und da gerät es zum Vorteil, dass Künast als Städterin kulturell den Verbrauchern sehr viel näher steht als den Landwirten. Und so spricht sie von „Schweinedoping“, das sie unterbinden wolle, und von „Tierquälerei“ und „Raubbau“, die sie nicht länger subventionieren wolle. Kein Agrarminister vor ihr hätte solche Worte in den Mund genommen.

Künast kann so reden, weil sie auch Verbraucherschutzministerin ist – und weil sie die Bauern mit sanftem Druck in ihr „magisches Sechseck“ aus Verbrauchern, Bauern, Handel, Politik sowie Ernährungs- und Futtermittelindustrie zwingen konnte.

Dieses Motiv zieht sich durch ihre ganze Rede: „Manche glauben, die Bauern allein seien an der Krise schuld“, sagte Künast gestern. Dies stimme „ausdrücklich nicht“. Sie unterstellt damit aber gleichfalls geschickt, dass die Bauern eben doch einen Löwenanteil an der Schuld haben. Oder sie erklärt: „Die Verbraucher haben die Faxen dicke.“ Die wollten ihr Geld „endlich sinnvoll für die Agrarwende ausgegeben“ sehen. Um dann darauf hinzuweisen, dass aber nur „alle zusammen“ aus dieser besonderen Lage herauskommen könnten.

Dass es nun keinen reinen Vertreter der Landwirtschaft im Kabinett mehr gebe, war die einzige handfeste Kritik, die Angela Merkel gestern in der Replik auf Künast einfiel. Und auch diese Kritik richtete sich eher gegen den Kanzler, dem Merkel noch einmal das Wort von den „Agrarfabriken“ vorwarf. Schröder habe BSE zum Anlass genommen, „die Bauern zu beschimpfen“.

Künast als Verbraucherministerin ist dagegen im Moment auch für die Union unantastbar. Ein Umdenken in der Landwirtschaft sei tatsächlich nötig, und die Ministerin werde bei „vernünftigen Maßnahmen“ von der Union unterstützt, erklärte Merkel notgedrungen. Sie sei auch „dankbar für die Differenzierung“ in Künasts Erklärung. „Wir geben ihnen alle Chancen, das ist dringend erforderlich.“ Doch man sollte die Union nicht unterschätzen. Die Bauern sind ihre Klientel. Und dass der Bauernverband – hat sich die Aufregung um den Rinderwahn erst gelegt – noch gegen einige Maßnahmen opponieren wird, ist klar. Merkel baute gestern schon einmal vor: Es gehe nicht nur um künftig „20 Prozent Ökolandbau, sondern um 100 Prozent der Bauern“.

Entlang dieser Linie wird die Union den Konflikt mit der Regierung suchen. Und wenn die Erregung über den Rinderwahn früher verebbt, als es für die „Agrarwende“ benötigt, wird Merkels Ansatz nicht ohne Erfolg bleiben. Bis dahin allerdings ist die Opposition auch in dieser Frage abgemeldet.

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