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Es gibt keine Parteien mehr, es gibt nur noch Verbraucher

Verbraucherministerin Renate Künast erhält für ihre Vorstellung von einem radikalen Umbau der Landwirtschaft zugunsten der Kunden Zustimmung vom Bauernverband über die CSU bis zur PDS

BERLIN taz ■ Die Ankündigung von Verbraucherministerin Renate Künast, eine radikale „Agrarwende“ einzuleiten, blieb gestern ohne nennenswerte Gegenwehr. Vom Naturschutzbund bis zum Bauernverband waren die Reaktionen auf die grüne Politikerin durchweg positiv. In der Aussprache im Reichstag zollten auch die Union und die PDS der jüngst gekürten Ministerin gestern Respekt und versprachen Unterstützung.

In ihrer Regierungserklärung kündigte Künast an, gemeinsam mit allen betroffenen Interessengruppen ein „Qualitätsprogramm für die Landwirtschaft“ entwickeln zu wollen. Ziele seien „Klasse statt Masse“, „eine gläserne Produktion“, eine „ökologische Landwirtschaft“ und „neue Einnahmequellen in den Regionen“ wie Ökostromproduktion und Tourismus. Dazu sollen die Agrarsubventionen von Bund und EU von insgesamt 23 Milliarden Mark umgelenkt werden. Im Grundsatz sollen Bauern nach Fläche und nicht mehr nach Produktion gefördert werden. „In unsere Kühe kommt nur Wasser, Getreide und Gras“, sagte Künast in Anlehnung an das Reinheitsgebot für Bier.

Dabei will Künast mit vielen heute noch üblichen Verfahren aufräumen. „Wir wollen und werden in Zukunft keine Tierquälerei finanzieren, sondern artgerechte Tierhaltung. Wir wollen und werden keinen Raubbau, sondern den Schutz von Boden und Wasser finanzieren“, sagte die Ministerin. „Das millionenfache Schlachten von Küken, weil sie das falsche Geschlecht haben – auch das ist eine Politik von gestern.“

In ihrer eindringlichen Rede hielt sich Künast dabei weitgehend an das mit dem Kanzleramt abgestimmte Strategiepapier zur Agrarwende (siehe taz von gestern). Sie blieb in den Details allerdings unkonkreter und nannte nur wenig Zahlen und Zeithorizonte. Der Agrarexperte der Union, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, nannte Künasts Ankündigungen in der taz denn auch „zu wenig konkret“. Er verlangte, die Teile der Steuerreform, die die Agrarfabriken bevorzugten, zu kassieren.

CDU-Parteichefin Angela Merkel kündigte an, Künast mit deren Programm „alle Chancen“ geben zu wollen und „vernünftige Maßnahmen zu unterstützen“. Auch PDS-Fraktionschef Claus äußerte seinen „Respekt“ für Künast. „Sie können auf unsere Unterstützung zählen.“

Der Geschäftsführer des Naturschutzbundes, Gerd Billen, sprach von einem „Meilenstein in der Agrarpolitik“. Offensichtlich wolle die Bundesregierung „mit der Agrarwende Ernst machen“. Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner sieht nach eigenen Worten ein „ernst gemeintes Angebot zum Dialog“ auf Seiten der Bundesregierung.

Selbst Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) meldete sich aus Bayern mit Beifall. Er begrüßte die angekündigte Stärkung einer umweltgerechten Produktion. Die wenige Kritik erschöpfte sich in eher weltanschaulichen Fragen. So warnte Stoiber die Regierung, die konventionelle nicht gegen die Biolandwirtschaft auszuspielen. Merkel warnte vor einer Vernachlässigung des ländlichen Raumes. Claus kritisierte den mangelnden Widerstand gegen die Liberalisierung des weltweiten Agrarmarktes.

Deutschland war gestern ein einig Land von Verbrauchern – und Verbraucherpolitikern. Statt der linken Grünen Künast sah sich eher Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Kritik ausgesetzt. Sowohl Merkel wie auch Koch warfen ihm vor, mit dem Begriff der „Agrarfabriken“ die Schuld einseitig auf die Bauern geschoben zu haben. „Dies ist ein Unwort gegen die Agrarunternehmen im Osten“, schimpfte Claus.

MATTHIAS URBACH

brennpunkt SEITE 6, debatte SEITE 11

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