Kein „Quotentürke“

Ab heute, 21.15 Uhr, darf ein türkischer Hauptkommissar bei RTL ermitteln. Vorsichtshalber wurde er mit „typisch deutschen Tugenden“ ausgestattet

von HEIKO DILK

Türken sind „in“ im deutschen Film“, jubelt Jan-Richard Schuster, Abteilungsleiter Serien bei RTL. Deshalb sei die neue Serie „Sinan Toprak ist der Unbestechliche“ auch eine bestechende Idee. Prima Wortspiel! Und vielleicht hat er sogar Recht. Zumal Erol Sander, der Türke von dem die Rede ist, jahrelang für Armani, Dolce & Gabbana, Dior und Co. gemodelt hat – will heißen: verdammt gut aussieht.

Dabei ist er eigentlich gar kein Türke. Erstens hat Sander die deutsche Staatsangehörigkeit, und zweitens hat er nur die ersten fünf Lebensjahre in der Türkei verbracht. Dementsprechend will er auch weder das „Aushängeschild: Türkischer Kommissar“ noch der „Quotentürke“ sein, sagte er der taz. 1973 kam er mit seiner Mutter nach München, ab 1990 modelte er in Paris. Seit Anfang letzten Jahres lebt Sander nun wieder in München und drehte dort zunächst acht Folgen von „Sinan Toprak“. Der ist Hauptkommissar in München und eigentlich auch kein richtiger Türke. Zeichnet er sich doch durch „typisch deutsche Tugenden aus“, wie es in der RTL-Pressemitteilung heißt. Welche das sind, weiß man bei RTL natürlich auch ganz genau: Gerechtigkeitssinn. Gewissenhaftigkeit. Prinzipientreue. Den Versuch, auch noch typisch türkische Eigenschaften zu definieren, unternimmt RTL glücklicherweise nicht. Immerhin soll der smarte Kommissar aber zur „Identifikationsfigur für Deutsche und Türken“ werden. Und zwar nicht als „Ali vom Dienst“. In der RTL-Prosa heißt das: „Wir diskriminieren nicht, wir integrieren.“ Ach ja, und für echte Krimifans ist die Serie übrigens kein Muss, eher ein Müsschen.

Die heutige erste Folge, „Der Fenstersturz“, geht denn auch konsequent mit der angekündigten Ausländerproblematik um – nämlich so gut wie gar nicht. Da wundert es nicht, dass Erol Sander mit Teilen der Pressemitteilung nicht viel anfangen kann. „Ich bin kein Politiker, sondern Schauspieler. Ich will nur unterhalten“, sagt er. Sanders Sicht auf die Serie trifft jedenfalls eher als die RTL-Prosa: „Es ging darum, einen Krimi in der Tradition der 60er-Jahre zu machen. Wie bei Miss Marple oder Hercule Poirot. Nebenbei spielen wir ein bisschen mit Vorurteilen. Aber so dezent wie möglich.“ Sehr dezent, wie gesagt. Dafür inszeniert RTL seinen neuen Cop wenig Agatha-Christie-like, sondern lieber als James Bond.

Im Pilotfilm, der bereits 1999 lief, war das allerdings noch ein bisschen anders. Eine Geschichte à la „In der Hitze der Nacht“ wurde da erzählt. Wie einst Sidney Poitier als schwarzer Polizist in den Südstaaten musste Toprak als Türke in Bayern eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, um von den Kollegen anerkannt zu werden. In „Fenstersturz“ hat er es offensichtlich geschafft. Selbst der dicke, uniformierte Revierleiter Meininger ist stolz, Handlangerdienste für Toprak erledigen zu dürfen. Und wenn er in einer Szene auf einen Stuhl steigen muss und sich eine Schlinge um den Hals legt, ist klar, wer eigentlich der „Ali“ oder besser der „Sepp vom Dienst“ ist.

„Sepp vom Dienst“

Die Rollen sind also klar verteilt: Toprak ist smart, scharfsinnig und überkorrekt. Sein Assistent Michael Holldau ist eher chaotisch und setzt sich laut Pressemitteilung schon mal über Regeln hinweg, um einen Fall zu lösen. In Folge 1 bleibt er aber eher unauffällig unchaotisch – vielleicht kommt sein großer Auftritt in Schimanski-Manier ja noch. So löst das Team, das heißt eigentlich nur Toprak, also in 45 Minuten den Mord an einem Münchener Stararchitekten. Und am Ende, wenn Toprak die Verdächtigen zur Präsentation der „Final Solution“ lädt, geht das zwar etwas hopplahopp, aber es wird klar, was er mit Marple und Poirot gemeint hat. – Und die obligatorischen Rückblenden sind dann sogar stilecht in Schwarzweiß.

Wäre da nicht auch noch die wirklich nette Filmmusik, die tatsächlich wie aus einem Agatha-Christie-Film klingt, könnten wir uns aber trotzdem bei „Derrick“ befinden. Ein Erbe, das Sander gar nicht abstreitet. Warum auch, schließlich ist niemand international so erfolgreich wie der personifizierte Tränensack. Und zumindest das türkische Fernsehen hat auch an Sinan Toprak schon Interesse angemeldet.

Wenn die schauspielerische Leistung der Beteiligten auch nicht immer überzeugen mag – besonders schlimm: Sabine Radebold als Topraks Ehefrau –, ist „Sinan Toprak ist der Unbestechliche“ gar nicht mal so übel gelungen. Durch die schnelle Einführung diverser Verdächtiger kommt so etwas wie Spannung auf, der sympathische Dickmops Meininger sorgt für Humor, wenn er „Tom Dooley“ oder „Ruby, don’t take your love to town“ trällert. RTL präsentiert also eine überangepasste, spießige neue deutsch-türkische Integrationsfigur. Man hört schon die Stimmen: „Ja, wenn die alle so wären wie der Toprak, dann . . .“