: Ökomöhre für den Kanzler
Renate Künast hat das Ziel genannt: 20 Prozent Ökofläche in 10 Jahren. Der Ökoverband Bioland ist skeptisch: Erst müssen die Deutschen lernen, was Genuss bedeutet
Ökolandbau ist neuerdings modern. Landwirtschaftsministerin Künast fordert einen Anteil von 20 Prozent in zehn Jahren; manche wünschen sich gar 50 Prozent (so der Vorsitzende des Deutschen Naturschutzrings). Doch zeigt das vorbildliche Nordrhein-Westfalen, das solche Ziele utopisch sind. Seit sechs Jahren wird dort die Biolandwirtschaft gefördert. Ergebnis: Der Ökoanteil wuchs von knapp einem Prozent auf 1,3 Prozent. Ganze 650 Betriebe sind in Nordrhein-Westfalen an einen ökologischen Anbauverband angeschlossen.
Anderes hatte die NRW-Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn auch nie erwartet. Sie wusste die Lacher auf ihrer Seite, als sie kürzlich auf der Grünen Woche in Berlin sagte: „Zehn Prozent habe ich auch gefordert – aber nicht gesagt, in welchem Zeitraum . . .“ Eine radikale Umstellung auf den Höfen macht tatsächlich wenig Sinn, wenn nicht beim Handel, vor allem aber bei den Verbrauchern „Umstellungen“ erfolgen. Insgesamt gilt, was auch sonst für den „organischen Landbau“ zutrifft: Organisch sollte das Wachstum aller Marktpartner sein. Würden nur die Erzeuger zunehmen, aber nicht die Nachfrager: Das Ergebnis wäre ein Überangebot, das große Risiken für die Ökobauern birgt.
Doch bleiben wir zunächst bei Nordrhein-Westfalen. Über 30 Millionen Mark wurden in den letzten sechs Jahren in die Stärkung des Ökolandbaus investiert. Davon die Hälfte in die „Flächenprämien“: Um Einkommensverluste auszugleichen, zahlen EU und Landesregierung gemeinsam jährlich 400 Mark je Hektar (nach fünf Jahren sinkt dies auf 300 Mark). Gemüsebauern, mit zumeist wenig Fläche, erhalten sogar 1.000 Mark (später dann 500 Mark). Eine weitere Förderungsmöglichkeit: Wer seine Ställe für die artgerechte und ökologische Tierhaltung umbauen oder neu bauen will, wird bei der Kreditvergabe bevorzugt und mit besseren Konditionen ausgestattet.
Doch hat Nordrhein-Westfalen nicht nur auf finanzielle Anreize gesetzt: Kein anderes Bundesland betreibt eine solch offensive Informationspolitik. Broschüren für Verbraucher, umstellungsinteressierte Landwirte oder Gärtner finden nicht zuletzt in anderen Bundesländern reißenden Absatz. Auch die jährlichen „Aktionstage Ökolandbau NRW“ – eine mehrtägige Kampagne, an der sich unter anderem Biobauern, Naturkosthändler, Verbraucher- und Umweltverbände beteiligen – finden immer größeren Anklang.
Doch trotz dieser offensiven Förderung und Bewerbung stellen pro Jahr nur wenige Dutzend Höfe um. Nüchtern muss man erkennen: Selbst 400 Mark Förderprämie pro Hektar können den Einkommensverlust bei den besonders leistungsfähigen konventionellen Betrieben nicht ausgleichen. Etwa bei den intensiv wirtschaftenden „Veredlungsbetrieben“ mit Schweine- oder Rindermast, die ihre Tierzahl deutlich reduzieren müssten. Oder bei jenen Ackerbaubetrieben der Kölner Bucht, die mit einer typischen „rheinischen“ Fruchtfolge von Zuckerrüben, Weizen und Gerste arbeiten.
Bei den weniger Leistungfähigen gilt: Wer auf ökologischen Landbau umstellt, macht zwar keinen Verlust – aber auch kaum Gewinn. Doch verlangt dieses ökonomische Nullsummenspiel einen immensen bürokratischen, organisatorischen und auch intellektuellen Aufwand. Ställe sind umzubauen, Fördermittel zu beantragen, Fruchtfolgen umzustellen, neue Geräte anzuschaffen, viel neues Wissen anzueignen . . . Das muten sich nur Landwirte zu, die vom ökologischen Landbau überzeugt sind – die Spaß an Herausforderungen haben und für die eine gesunde Umwelt ein ästhetisches Vergnügen und Bedürfnis ist. Diese Haltung wird jedoch in den landwirtschaftlichen Ausbildungen nicht gefördert. In Nordrhein-Westfalen kommt zwar inzwischen etwa jeder zehnte Landwirtschaftslehrling von einem Biohof (bei einem Anteil, wie erwähnt, von nur 1,3 Prozent), doch im Unterricht wird nur althergebrachtes, „konventionelles“ Wissen gelehrt. So muss jeder Azubi die Pflanzenschutzprüfung ablegen – auch wenn er sie auf seinem Ökohof nicht gebrauchen kann. Aber kaum einer lernt etwas über die biologische Unkrautregulierung mit Maschinenhacke und Striegel.
Wenn das Ziel eine steigende Ökofläche ist, dann muss auch die „Offizialberatung“ der Landwirtschaftskammern reagieren. Heute gibt es in Nordrhein-Westfalen ganze sechs Kammer-Berater, die sich um Ökolandbau kümmern – neben anderen Aufgaben. Dafür gibt es aber genug Beamte, die sich auf engste konventionelle Bereiche spezialisieren durften, zum Beispiel die Klimaführung in Schweineställen. Es würden aber 20, 30 oder gar 50 Ökoberater in den Kammern gebraucht. Diese Umwidmung der Aufgaben wäre machbar, ohne die Personalkosten auch nur um eine Mark aufzustocken.
Die finanzielle Förderung ist in Nordrhein-Westfalen zufrieden stellend. Doch muss die Vermarktung der Bioprodukte verbessert werden. Entscheidend sind dafür die Metzger und Bäcker. Sie haben den engen Kundenkontakt, um die Verbraucher von den Ökowaren zu überzeugen. Doch noch ist die Ahnungslosigkeit überwältigend: Zurzeit rufen täglich Metzger in den Bioland-Geschäftsstellen an, um sich zu informieren, was Ökofleisch überhaupt sei. Auch hier stellt sich wieder die Frage, warum das Thema „Bio“ in der Ausbildung der Lebensmittel verarbeitenden Handwerksbetriebe fast keine Rolle spielt.
Die schwierigste, aber wahrscheinlich wichtigste Aufgabe ist eine breite Informationskampagne. Die deutschen Verbraucher sind daran gewöhnt, Lebensmittel nur über den Preis zu bewerten. Herkunft, Erzeugung, ja sogar Geschmack scheinen fast bedeutungslos. Anders als in Österreich, Italien oder Frankreich, wo Ernährung bewusster – und vielleicht auch lustvoller? – erlebt wird, deutet sich hier eine echte Sisyphusarbeit an. Und doch: Nur mit einer Informationskampagne, die lange anhält und also mit vielen Millionen Mark ausgestattet ist, kann in Deutschland überhaupt etwas bewegt werden. Die Verbraucher müssen von den Vorzügen der Ökoprodukte überzeugt werden: Gesundheit, Geschmack, kontrollierte Transparenz, Innovation, Sicherheit und Preiswürdigkeit.
Schon vor vielen Jahren warb Österreichs Landwirtschaftsminister im Fernsehen für Biomilch – es ist höchste Zeit, dass Gerhard Schröder statt einer echten Havanna mal eine knackige Biomöhre im Mund hat. Nicht immer, aber immer öfter.
HEINZ-JOSEF THUNEKE,
THOMAS INGENSAND
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