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Ich ist ein kleines Label

Der kanadische Folksänger Perry Friedman brachte der DDR deutsche Volkslieder bei. Die Berliner FDJ hatte Angst vor ihm, aber Hans Modrow genehmigte 1960 das legendäre Konzert an der Stalinallee

Sollte es nun die, der oder das Hootenanny heißen? Eine Sängerin fand, es klinge wie ein Mädchenname . . .

von FALKO HENNIG

Ich war ja auch in der Singegruppe. Das war so was wie ein Chor, aber mit Gitarren, ich war der einzige Junge. Mit der Musiklehrerin, die uns anleitete, sangen wir in Altenheimen, bei Weihnachtsfesten, ganz oft auf Weihnachtsfesten in Altenheimen.

Ich versuchte sogar, selber Gitarre spielen zu lernen. Diese Gitarrenstunden bei Frau Strahl, sie hatte circa 20 Bände Stalin stehen, das war auch so eine Art Opposition in der DDR, aber eine ganz eigenartige. Das Problem war einfach, dass ich nie geübt habe, und so kann ich es bis heute nicht. Immerhin weiß ich noch zwei Methoden, wie man sich die richtige Bezeichnung der Saiten merken kann: Eine Alte Dumme Gans Hat Eier, und die in der DDR leicht politisch unkorrekte Version: Eine Alte Deutsche Gitarre Hält Ewig.

Musik reist in eigenartig verschlungenen Bahnen, heute wohl hauptsächlich via MTV und auf CDs, früher auf Schallplatten, Schellackplatten und -walzen, und davor in Form von gesummten Melodien, gespeichert nur in den Köpfen durch Wiederholung aufgefrischt, auf verschrammten Geigen gespielt. So driftete die europäische Volksmusik mitsamt Jodlern und Geigen in Gepäck und Hirn der europäischen Auswanderer nach Amerika, vermischt sich dort mit den Gesängen der Schwarzen zu Country- und Folkmusik, um irgendwann wieder nach Europa zurückzukehren. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass so etwas mit meiner Singegruppe zu tun haben könnte.

Es war jüngst eher am Rande einer Pressekonferenz zum Festival „Musik und Politik“, einer Nachfolgeveranstaltung des in der DDR etablierten Festival des politischen Liedes. Dr. Lutz Kirchenwitz vom Verein Lied und soziale Bewegungen e. V. war der Festivalleiter. Bewusst stellte er die Veranstaltung in die Tradition des Festivals des politischen Liedes. Er erzählte von einem russischen Liedermacher der Tauwetterperiode, von Degenhardt, den Niederlagen der Linken, Politkitsch, langweiligem Gitarrengezupfe mit erhobenem Zeigefinger. Dann hätten sie den Stier bei den Hörnern gepackt und „Musik und Politik“ drübergeschrieben, um einen Hauch von 68 ins 21. Jahrhundert zu transferieren.

Musik gibt’s, wusste er, Politik gibt’s und Beziehungen dazwischen auch. Obwohl das Festival einen Tag länger als im letzten Jahr dauere, sei es trotzdem noch Low Budget mit vielen Sponsoren, z. B. das argentinische Ministerium für Tourismus und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wie die Honorare für die Künstler wären?, fragte einer, „Bescheiden.“ Schließlich stellte sich Karl-Heinz Ocasek vor: „Ich bin ein kleines Label namens Barbarossa.“ Er gebe hauptsächlich DDR-Sachen heraus, 12 CDs Ernst Busch und eine über Perry Friedman, dem Mentor und Erfinder der DDR-Singebewegung. Ich bekam eine Rezensions-CD, tatsächlich sehr anhörbar, schöne Stimme. Selbst deutsche Volkslieder sind erträglich, bemerkte ich beim Anhören, wenn sie mit Akzent und Banjo vorgetragen werden. „Danville Girl“ gefällt mir am besten. Also rief ich Victor Grossman an, den ich von meinen Recherchen zu Dean Reed her kannte, und tatsächlich war er 1960 Dolmetscher von Perry Friedman, in dessen erstem Jahr in der DDR. Was Friedman damals anrichtete, war schon eine kleine Kulturrevolution.

Perry Friedman wurde 1935 in Canada geboren, hörte mit 17 Jahren Pete Seeger und wollte von da an Folksänger werden. Andere Vorbilder waren Ernst Busch oder Paul Robeson. Frühe Auftritte Friedmans fanden beispielsweise vor der Bergarbeitergewerkschaft statt. Friedman hatte Konzerttourneen, kam durch England und Dänemark und so auch in die DDR.

In einer Sporthalle, inzwischen längst abgerissen, an der Stalinallee sollte das erste Hootenanny-Konzert der DDR stattfinden, erinnerte sich Grossman. Hootenanny ist eine gesellige, zwanglose Form gemeinsamen Singens aus Nordamerika. Natürlich benötigte man für eine Veranstaltung in einer so großen Halle das Einverständnis der zuständigen FDJ-Leiterin, doch die Frau bekam es mit der Angst. Weder fand sie den Banjo spielenden Kanadier Vertrauen erweckend, noch überzeugte sie die Beschreibungen des geplanten Konzerts. Sie wollte das nicht allein entscheiden, und so musste der Berliner FDJ-Chef gefragt werden.

Der Funktionär stimmte der musikalischen Lustbarkeit zu. Mancher wird sich noch an diesen FDJ-Chef erinnern, sein Name war Hans Modrow. Bei dem Konzert war unter anderem Gisela May dabei, und es war ein überragender Erfolg. Es war überfüllt, und alle sangen mit. Einige Halbstarke in Lederjacken, Rocker gab es noch nicht, hatten sich eine andere Art von Show vorgestellt, konnten aber wegen der Überfüllung nicht mehr hinaus und sangen schließlich ebenfalls mit, selbst die verhassten Einheitsfrontlieder.

Es kam sogar zu einer Abstimmung: Sollte es nun die, der oder das Hootenanny heißen? Eine Sängerin gab den Ausschlag. Sie fand, es klinge wie ein Mädchenname, und so hieß es ab da „die Hootenanny“. Das eigenartige Wort fand sogar Eingang in die DDR-Ausgabe des Duden, die besondere Verwestlichung fortsetzend, für die auch Wörter wie „Broiler“ und „Dispatcher“ stehen. Es entstanden Hootenanny-Clubs, doch gab es Ängste der Mächtigen vor einer solchen westlich infizierten Bewegung. Zusammenschlüsse mussten Oktoberklubs heißen, amerikanische Lieder wurden verboten.

Deshalb zog auch Perry Friedman für fünf Jahre nach Kanada zurück. Zu den Weltfestspielen 1973 wer er wieder da und widmete in der Werner-Seelenbinder-Halle ausgerechnet Walter Ulbricht ein Lied. Auch dies eine Tabuverletzung, die ihn auf die schwarze Liste der DDR brachte, von den DDR-Amerikanern „shit list“ genannt.

Trotzdem war die Saat ausgebracht. Irgendwann beruhigten sich die Kulturpolitiker wieder, Friedman zog zurück in die DDR. Die Bewegung erlebte 1976 mit Pete Seeger in der Volksbühne ihren Höhepunkt, die Aufnahme von ausländischen Volksliedern belebte das Kulturleben der DDR genauso wie die Wiederentdeckung der eigenen. Dass ein Kanadier mit dicker Brille und Banjo, der Friedman heißt, den DDRlern deutsche Volkslieder nahebrachte, ist schon ein Kulturphänomen ersten Ranges.

Die CD „Perry Friedman, Folksinger“ gibt es bei www.barbarossa-musik.de. Heute beginnt das Festival „Musik und Politik“. Infos unter www.songklub.de

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