millionen für sebnitz
: Symbol einer verwirrten Moral

Sebnitz ist ein Symbol. Aber wofür? Für verantwortungslosen Journalismus, für Rassismus? Nein, Sebnitz entwickelt sich zu einem Symbol verwirrter Moral. 34 Millionen Mark fordern die Ratsherren, um das Ansehen der Stadt wiederherzustellen. 10 Millionen Mark hat der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bereits für die Förderung des Tourismus und der Jugend zugesagt. Ihr Zweck: Entschädigung für aufgeregte Tage der Unklarheit, nachdem die Staatsanwaltschaft Dresden drei junge Menschen wegen Mordverdachts festgenommen und die Frage in Umlauf gesetzt hatte: War der Tod des sechsjährigen Joseph ein Badeunfall oder Mord?

Kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Sebnitz verliert an Ansehen, weil sich der Bürgermeister und viele Bürger ausdauernd als Opfer inszenieren. Obgleich alle Welt inzwischen weiß, dass der Verdacht der Staatsanwaltschaft unbegründet war und die Presse schnell Zweifel an der Version der Familie Kandelberg-Abdulla anmeldete, strickt die Stadt weiter an den Gewinn bringenden Legenden der bösen Medien und des imperialen Westens, der den Osten als Naziland stigmatisiert.

Biedenkopfs Zahlungsbereitschaft offenbart eine Schieflage humaner Standards. Wenn in Sebnitz jemand Hilfe braucht, dann nicht die Tourismusindustrie, sondern die Jugendlichen, die auf Grund des unbegründeten Mordverdachts in U-Haft gesessen haben und traumatisiert sind. Gleichzeitig zeigt der Fall Sebnitz: Wenn Landesregierungen wollen, können sie Bedrängten sehr schnell und unbürokratisch helfen. Bei den Opfern rassistischer Gewalt haben sie bislang vergleichbaren Feuereifer nicht gezeigt. In der Regel blieben diese mit ihren Verletzungen, zerstörten Leben und Ängsten allein.

Kippt der Osten? Kippt die Moral? Warum soll für Guben, Dessau und andere Orte nicht recht sein, was für Sebnitz billig ist? Weshalb sollten diese Orte nicht auch von der Gesellschaft Wiedergutmachung fordern, weil sie wegen der Berichterstattung über rassistische Delikte in die Schlagzeilen gerieten und sich deshalb kollektiv verunglimpft fühlen? Eine absurde Vorstellung? Nein. Bereits vor zehn Jahren zeigte der Bürgermeister von Eberswalde den Autor dieses Kommentars wegen seiner Berichterstattung zu dem rassistischen Mord an Amadeu Antonio an. Begründung: Rufschädigung der Stadt. Damals wies das Gericht die Klage zurück. Das kann künftig bei vergleichbaren Fällen anders sein. Dank Sebnitz.

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