piwik no script img

Der Richter und die kleine Maus

■ Angeklagter zu Geldstrafe verurteilt, weil er angeblich Wachtmeisterin im Schill-Prozess angegriffen und verletzt hat

Eigentlich waren sich Anklage und Verteidigung einig: Es handelt sich bei dem Vorwurf gegen Matthias R. um eine Bagatelle, die mit einem Bußgeld von 750 Mark erledigt werden könnte. Trotzdem beharrte Amtsrichter Henning Haage darauf, diesen Betrag als Schmerzensgeld an Justizwachmeisterin Birgit H. zu zahlen (taz berichtete). Und das wäre für den Studenten ein Schuldeingeständnis gewesen – für etwas, was er nicht getan haben will. Und so uferte der Schill-Folgeprozess gegen Matthias R. aus, endete gestern noch vor dem Urteil mit der Ankündigung der Berufung, weil Haage aus Sicht von Verteidiger Andreas Beuth befangen sei. Dass Haage R. zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 20 Mark wegen Körperverletzung und Widerstand verurteilte, kam dann nicht mehr überraschend.

Von Beginn an schwebte der Geist des Amtsrichters Ronald Schill über dem Verfahren. R. war im Mai 1999 in dem folgenreichen Schill-Prozess gegen einen Rotfloristen, in dem der medienfixierte Jurist bei der Urteilsverkündung rechtswidrig zwei Besucher für drei Tage in Ordnungshaft steckte – einer von ihnen Matthias R. Bei seiner Festnahme soll er Birgit H. geschlagen und getreten haben, was er bestreitet.

Das Komische: Die Wachmeis-terin, die die Verletzungen vor Gericht selbst als „Pups“ bezeichnete und keinen Arzt aufsuchte, fasste den Vorfall erst Wochen später in Worte – just zu dem Zeitpunkt, als der Strafantrag gegen Schill wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung eingegangen war. Aufgenommen wurde der Vorfall von ihrem Dezernatsleiter Amtsrichter Harm Beyer, der Strafantrag höchstpersönlich von Amtsgerichts-Präsident Heiko Raabe gestellt. Und niemand bestätigte ihre Angaben – selbst Schill nicht – was gestern auch die Befragung damals anwesender Journalisten und der Protokollantin untermauerte.

Daher steht für Beuth fest, dass H. damals eine „Gefälligkeitsanzeige“ erstattet habe, um Schill zu entlasten. Ihr „Belastungseifer“ sei auffällig und ihre Aussage „tendenziös“ gewesen. Beuth: „Ihre Abneigung gegen den Angeklagten konnte sie nicht verbergen.“ Doch für Haage sind die Motive unwichtig. Selbst wenn sie sich geärgert habe, dass niemand über die „chaotischen Vorfälle, sondern immer nur über Schill“ berichtet habe, könne er daran nichts Schlechtes erkennen. Haage: „Der Angeklagte hat mutwillig mit den Armen rumgefuchtelt und mit den Füßen getreten.“ Schon vorm Prozess hatte Haage Beuth gebeten, R. zu einem Geständnis zu bewegen. Haages Begründung: „Das ist doch die kleine Maus, der muss ich doch glauben.“ Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen