Nach dem Blutbad gab`s Kakao

Der 60-jährige Sozialhilfeempfänger Dieter E. wurde von vier rechten Jugendlichen grausam getötet. Sie stehen seit Anfang Februar vor Gericht, das Urteil ergeht in Kürze. Einer der Täter wurde in der Haft von seinen Kameraden unter Druck gesetzt: Er sollte die Schuld auf sich nehmen

von PLUTONIA PLARRE

Der Neonazi-Führer Arnulf Priem lässt seine Zöglinge nicht im Stich. Insbesondere dann, wenn diese im Knast sitzen, weil sie einen Sozialhilfeempfänger getötet haben. „Minderwertiges Leben auslöschen“ oder „Assiklatschen“ wird so eine Tat in der rechten Szene abfällig genannt.

Dass man auf Priem zählen kann, erfahren zur Zeit vier rechte junge Männer aus Pankow, die sich seit Anfang Februar wegen Mordes an dem 60-jährigen Sozialhilfeempfänger Dieter E. vor einer großen Jugendstrafkammer des Berliner Landgerichts verantworten müssen. Dieter E. ist in der Nacht vom 23. zum 24. Mai 2000 in seiner Wohnung in Buch zu Tode misshandelt worden. Der Prozess hat ergeben, dass die Täter binnen weniger Stunden dreimal bei dem Opfer waren. Das erste Mal traten sie den im Bett liegenden Dieter E. mit stahlkappenbesetzten Springerstiefeln zusammen. Beim zweiten Mal stießen sie ihm ein Messer in die Brust, damit er sie nicht mehr wiedererkennen konnte. Dann kehrten sie abermals zurück, um die Spuren an den Türen abzuwischen.

Sie waren Nachbarn

Auf die Fährte der vier Tatverdächtigen war die Kripo durch die Befragung der Hausbewohner gekommen. Dieter E. und einer der Angeklagten wohnten in verschiedenen Stockwerken des Hochhauses. Einige Tage vor der Tat waren aus der Wohnung des jungen Mannes Sieg-Heil-Rufe ertönt. Nach ihrer Festnahme hatten drei der Beschuldigten – der Dachdeckerhelfer René R. (18), der Mechanikerazubi Andreas I. (19) und der jüngste im Bunde, der Malerlehrling Thomas S. (17) – ziemlich schnell ein Geständnis abgelegt. Nur der einzige Erwachsene, der 21-jährige, berufslose Matthias K., verschanzte sich hinter der Behauptung, er habe in der Tatnacht so viel Alkohol getrunken, dass er sich an nichts erinnern könne.

Matthias K. ist mit Arnulf Priem befreundet. Priem hat ihm auch seinen Verteidiger Aribert Streubel vermittelt. Streubel hat Priem, der lange Zeit zu den Neonazi-Führern Deutschlands gehörte, bereits in diversen Prozessen verteidigt. Seit dieser 1995 vom Landgericht wegen Bildung eines bewaffneten Haufens zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist, ist er nicht mehr an vorderster Front tätig. Vor allem für Ost-Nazis sei Priem aber immer noch eine Art Vaterfigur, weiß der Rechtsextremismusexperte Burkhard Schröder. „Priem ist ein Rassist und Antisemit bis auf die Knochen.“ Er sei darauf spezialisiert, Jugendliche mit seinen Verschwörungstheorien auf den rechten Weg zu bringen. Wozu die Männer aus dem Dunstkreis von Priem fähig sind, hat schon Kay Diesner gezeigt: Er hat einen Polizisten erschossen und einen Buchhändler schwer verletzt.

Die vier Angeklagten hatten nach ihrer Festnahme bei der Polizei zu Protokoll gegeben, dass sie sich der rechten Szene zugehörig fühlen und an Kameradschaftsabenden teilgenommen haben, zu denen auch Arnulf Priem kam. Trotzdem wollte sich der Staatsanwalt zum Prozessbeginn nicht auf ein Tatmotiv festlegen: „Nicht jede Tat eines Rechtsextremisten ist eine rechtsgerichtete Tat“, sagte er. Treibende Kraft könne auch die Lust auf Gewalt gewesen sein.

Priems Freund, der vor Gericht stehende Matthias K., scheint in dem Quartett der Angeklagten der Wortführer gewesen zu sein. K. ist der einzige, der seiner kurzen Haartracht treu geblieben ist. In leicht gebeugter Haltung sitzt er im Prozess neben seinem Verteidiger und amüsiert sich köstlich über diesen. Streubel ist der Grund dafür, warum sich der Prozess so in die Länge zieht. Der Hüne mit dem schwarzen Backenbart kommt fast immer zu spät, formuliert stundenlang Verfahrensanträge und strapaziert die Zeugen mit Wiederholungsfragen.

Wenn seine im Zuschauerraum sitzende Mutter Blickkontakt sucht, guckt Matthias K. weg. Die Mutter ist gelernte Kinderkrankenschwester, der Vater war früher Offizier bei der Nationalen Volksarmee. Warum Matthias K. seine Lehre als Forstarbeiter abgebrochen und eine solche Entwicklung genommen hat, kann sich die Frau bei ihrer Befragung vor Gericht nicht erklären. Die beiden älteren Töchter seinen richtige „Musterkinder“. Matthias dagegen sei schon immer schwierg gewesen, sagt die Frau, den Tränen nahe. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, habe sie ihm einen Hund gekauft und einen Motorrad-Führerschein bezahlt.

Die anderen drei Jugendlichen hörten auf Matthias K. Sie wollten sich profilieren. Allen voran der 18-jährige René R. Der Stiefsohn eines Bundesgrenzschutzbeamten hatte zusammen mit Matthias K. auf den wehrlosen Sozialhilfeempfänger eingeschlagen und -getreten, während die beiden anderen im Flur Schmiere standen. Nachdem sich die vier darauf verständigt hatten, dass das Opfer zum Schweigen gebracht werden müsse, hatte René R. mit dem Messer zugestoßen. Matthias K. hat sich die Hände nicht schmutzig gemacht. René sei nach der Tat richtig stolz gewesen, seinen „ersten Menschen abgestochen zu haben“, sagte der jüngste der Angeklagten, Thomas S., dem Gericht. Seiner Freundin hatte René R. aus der Untersuchungshaft geschrieben: „Ich wollte mich vor den anderen Kameraden profilieren, um in die rechte Szene aufgenommen zu werden.“

Der 17-jährige Thomas S. war im Prozess zunächst der Einzige, der sich in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag bekannte. Nachdem René R. dem Gericht zunächst erzählt hatte, alle seien nur einmal in der Wohnung gewesen, entschloss sich später auch dieser, reinen Tisch zu machen. Während der 19-jährige Andreas I. Stück für Stück von seinem Geständnis bei der Polizei abrückte und Matthias K. sich auf einen Alkohol-Blackout berief, schilderte R. frank und frei, wie es zu der Tat gegen Dieter E. gekommen war.

Auf Nachfrage des Staatsanwalts wurde schließlich auch der Grund für sein anfängliches Leugnen klar: In Untersuchungshaft wurde René R. mit offenen und versteckten Drohungen unter Druck gesetzt , die Schuld auf sich zu nehmen und die anderen herauszuhalten. In Briefen, die an der Postkontrolle vorbeigeschmuggelt worden waren, hatte ihm Andreas I. für den Fall einer belastenden Aussage eine schwere Zeit in Haft angedroht. „Woher wusste die Kripo von Priem?“, fragte I. in dem Brief drohend. Wenn R. sich kooperativ zeige, werde er von den Kameraden draußen bestimmt nicht hängengelassen, schrieb Andreas I. mit Hinweis auf seine eigene Person. „Ich bin sozial abgesichert. Die Kameraden von draußen kommen und schicken Pakete.“ Wenige Tage vor dem Beginn des Prozesses am 6. Februar wurde René R. im Wartezimmer des Zahnarztes in der Jugendhaftanstalt erneut bedroht. „Du weißt, was du zu sagen hast“, sei ihm von Mithäftlingen übermittelt worden. „Ich habe mir deshalb gedacht, lieber zehn ruhige Jahre sitzen, als acht Jahre Angst haben“, begründet er sein anfängliches Aussageverhalten.

In Wirklichkeit sei es so gewesen, dass man zu viert in seiner Wohnung zusammengesessen, rechte Hardcore-Musik gehört und viel Alkohol getrunken habe. „Wir kamen auf das Thema Ausländer, und dann hat sich das Ganze hochgeschaukelt.“ Es sei die Idee von Matthias K. gewesen, zu Dieter E. hochzugehen, um den „asozialen Alkoholiker aufzuklatschen“. Beim zweiten Mal sei allen klar gewesen, dass es darum ging, den Mann „kaltzustellen“. Nachdem er mit dem Messer zugestochen habe, habe Matthias K. sinngemäß gesagt: „Das hast du gut gemacht.“

Eine rechtes Motiv?

Die Frage, ob es sich bei der Tat um eine rechtsextremistische handelt, hat auch den psychiatrischen Sachverständigen Hans-Ludwig Kröber beschäftigt, der Matthias K. begutachtet hat. Bei Matthias K. sei schon in seiner Jugend fehlende Offenheit und ein unkritisches Verhalten gegenüber älteren Jugendlichen beklagt worden. In der Schule sei er wegen seiner unmotorischen Bewegungen „als schwul“ gehänselt worden. Er habe große Schwierigkeiten gehabt, als männlich und stark zu erscheinen. Denkbar sei, dass Matthias K. die Unzufriedenheit über seine eigene Lebenssituation in ein Feindbild nach außen umgesetzt habe. Nach dem Motto: Leute, die noch schlechter dran sind als man selbst, „kann und soll man platt machen, weil sie minderwertig sind“. So gesehen gebe es durchaus eine Verbindung zwischen Ideologie und Tat.

Priem unterstützt nicht nur seine Zöglinge, er ist auch bestens informiert. Am Tag nach der Tat besuchten Matthias K. und René R. den Neonazi-Führer und tranken mit ihm Kakao.