: Auferstanden aus Ruinen
Im „Grauen Kloster“ in Mitte soll eine neue Eliteschule nach alter preußischer Tradition entstehen.Zu den Unterstützern gehören Kultursenator Stölzl und der letzte DDR-Ministerpräsident, de Maizière
von PHILIPP GESSLER
Die Analyse war vernichtend: Die Berliner Gemeindeschulen von St. Nikolai und St. Marien, so fanden die strengen Herren Visitatoren 1573 heraus, waren nicht in der Lage, den Kindern der aufstrebenden Residenzstadt an der Spree eine ausreichende Allgemeinbildung zu geben. Zusammen mit anderen Männern der Kirche und Berliner Bürgern plädierten sie deshalb beim Kurfürsten Johann Georg dafür, Abhilfe zu schaffen. Er besann sich des alten Franziskanerklosters an der heutigen Ecke Kloster-/Grunerstraße. Es war nach der Reformation funktionslos geworden. Einen Teil des „Grauen Klosters“, benannt wahrscheinlich nach dem braungrauen Kutten der Patres, vermachte Johann Georg einer Stiftung zur Errichtung eines „Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster“ – schon am 20. Juli 1574, am Margaretentag, öffnete die Schule ihre Pforten.
Wer sagt, dass sich Geschichte nie wiederhole? Heute kommen wieder Berliner Bürger zusammen, die für die Errichtung einer neuen Schule in einer trotz allem aufstrebenden Metropole plädieren: Sie wollen das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gymnasium „Zum Grauen Kloster“ wieder erstehen lassen. Dazu soll heute um 15 Uhr nach einem Gottesdienst in der Ruine der Klosterkirche an der Klosterstraße der „Förderverein des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster“ gegründet werden. Und die Prominenz der Unterstützer dieses Projekts spricht dafür, dass daraus etwas werden könnte, gehören zu ihnen doch Kultursenator Christoph Stölzl, der Direktor des Centrums Judaicum, Hermann Simon, der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizière (CDU), und der frührer DDR-Außenminister Markus Meckel, heute SPD-Bundestagsabgeordneter.
Die illustre Schar verbindet, dass sie – bis auf Stölzl – alle ehemalige „Klosteraner“ waren und damit Teil einer Gemeinschaft, die sich durch ein gewisses Elitebewusstsein, vor allem aber eine große Tradition auszeichnet. Denn das Graue Kloster stieg in den Jahrhunderten nach 1574 zu einer der führenden Lehranstalten der preußischen und später gesamtdeutschen Hauptstadt auf. Zu den Lehrern in dieser berühmten Berliner Bildungsstätte gehörte beispielsweise der bedeutende preußische Politiker und Historiker Johann Gustav Droysen, der den Begriff „Hellenismus“ erfand, einer der führenden Figuren des Paulskirchenparlaments von 1848 war und seinerzeit der wichtigste Geschichtsschreiber Preußens wurde.
Zu den Schülern zählte der Bildhauer Johann Gottfried Schadow, der etwa die Quadriga auf dem Brandenburger Tor und die Gruppe der Kronprinzessin Luise und ihrer Schwester schuf. Auch Karl Friedrich Schinkel, „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn und Otto von Bismarck drückten im Grauen Kloster die Schulbank – der Reichskanzler von 1871 hatte an ihm 1832 sein Abitur gemacht.
Die Namen zeigen, was die Schule darstellte: eine Kaderschmiede für den immer mächtiger werdenden preußischen Staat. National geprägt, elitär, jedoch einem humanistischen Menschenbild verpflichtet, das auch teilweise erstaunliche Liberalität zuließ. So verweisen die Initiatoren der Neugründung etwa darauf, dass der Anteil jüdischer Schüler auf dem Gymnasium bis zur Machtübernahme der Nazis 1933 überdurchschnittlich hoch gewesen sei.
Die große Tradition konnte auch durch die Zerstörung des Schulgebäudes in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs nicht völlig zunichte gemacht werden: Schon im Sommer 1945 wurde der Unterricht zunächst im Direktorenwohnhaus der Friedrichswerderschen Oberrealschule in der Weinmeisterstraße notdürftig wieder aufgenommen. Im September 1949 bezog die Schule ein neues Quartier in der Niederwallstraße – bis Walter Ulbricht 1958 genug hatte vom bürgerlichen Bildungsdünkel und die Fortführung des alten Namens untersagte. Doch Traditionen sind hartnäckig, und so bestand die Schule als „2. erweiterte Oberschule“ in Berlin-Mitte bis 1982 fort – im Arbeiter-und-Bauern-Staat konnte man bis dann dort weiter Latein und Griechisch lernen. Unumstritten war das in der DDR nicht – zeitweise versuchte das SED-Regime, gerade in diesen Jahrgängen eine besonders scharfe Schulpolitik gegen das „Intellektuellentum“ zu verfolgen, wie sich eine Schülerin erinnert.
Dennoch saß der Nachwuchs sowohl hoher Parteikader wie Pfarrerskinder weiter auf einer Schulbank. Der Name „Graues Kloster“ als Selbstbezeichnung blieb bei den Schülern bestehen. Hermann Simon, von 1963 bis 1967 an der Schule, erinnert sich, dass es noch zu seiner Zeit relativ viele jüdische Mitschüler gegeben habe – in seiner Klasse neben ihm noch zwei andere. Nach seiner Erinnerung wurde sein damaliger Direktor Walter Franz „rausgeschmissen“, weil er den altsprachlichen Zweig nicht abschaffen wollte oder konnte: „Es waren unsere Eltern, die durch ihre Beziehungen und Diskussionsrunden erreichten, dass uns Latein und Griechisch gelehrt wurde.“ In seinem altsprachlichen Zweig habe es zwar viele FDJ-Hemden gegeben, aber auch einen Pfarrerssohn, der als Einziger ein sozialistisches Lied gesungen habe: „Ich trage eine Fahne, und diese Fahne ist rot.“ Der Sänger floh 1964 nach Westdeutschland.
Diesen deutsch-deutschen Aspekt betonen die Initiatoren der geplanten Neugründung heute besonders. Denn 1963 nahm das schon 1949 gegründete Evangelische Gymnasium in Westberlin den Namen Graues Kloster an. Das neue Graue Kloster in Mitte soll eine Tochterschule dieses Gymnasiums werden, erklärt Ernst Brenning, Rechtsanwalt und Elternsprecher der West-Schule. Für ein evangelisches Gymnasium, meint er, gebe es im Osten der Stadt einen großen Bedarf: Schließlich könne die West-Schule nur jeden vierten Bewerber aufnehmen. Und schon im Herbst würden sich auf Elterninitiative in Lichtenberg, Mitte und Pankow neue evangelische Schulen gründen – trotz mancher PDS-Stadträte, die oft „keine Hilfe“ darstellten.
Offensichtlich ist, dass Brenning und seine Mitkämpfer einer Anknüpfung an die alte Elitetradition nicht abgeneigt sind: Wie im Westen solle die Schule humanistisch geprägt sein – mit Latein in der Sexta, Englisch in der Quarta und optional Altgriechisch in der Untertertia. Zudem solle die Schule eine „geistige Plattform“ für die Mitte der Stadt sein, die bisher nur von Politik und Geld geprägt sei.
Auf diese beiden Kräfte aber sind die Initiatoren der Schule angewiesen, denn „außer guten Ideen und guten Namen“ habe man nichts, erklärt Brenning in unbekümmerter Offenheit. Wenn man am historischen Ort bauen wolle, müsse die Grunerstraße, was sowieso geplant sei, etwas zurückgebaut werden. Die Kosten schätze er auf etwa 30 Millionen Mark – auch weil man die Klosterruine aus dem 12. Jahrhundert samt Krypta noch einbeziehen müsse und ein Schulgebäude ja architektonisch anspruchsvoll sei: Da könne man „nicht so ’n Kasten draufknallen“. Immerhin die evangelische Kirche, Senatsbaudirektor Hans Stimmann und Ex-„Klosteraner“ aus Ost und West engagierten sich bereits für das große Projekt. Und vielleicht hilft ja auch der Wahlspruch der Schule ein wenig: „Estote fortes!“ Für die Nichtlateiner: „Seid stark!“
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