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Geschlechterübergreifende Lust

In Prenzlauer Berg haben zwei Lesben einen Buchladen eröffnet, der erotische Literatur für Frauen und Männer anbietet. Räume nur für Frauen funktionieren nur noch, wenn sie Dienstleistungen anbieten und weitgehend ideologiefrei sind

„Meine persönliche Lesbennische hat mir nicht mehr gereicht“, sagt die 30-jährige Sophie Hackzur Begründung, warum sie eine Buchhandlungfür ein „pansexuelles Publikum“ eröffnet hat

von JULIA NAUMANN

In dem Laden ist es hell. Richtig hell. Von der Decke leuchten warme Lampen jeden Winkel aus. Tageslicht gibt es kaum: Hellbraune Gardinen verdecken die gesamte Schaufensterfront.

Die Atmosphäre ist freundlich, belebend, nichts wirkt versteckt oder schmuddelig. Hier fühlt sich niemand nackt. Obwohl es um Nacktes geht: Die Buchhandlung „Lustwandel“ in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg ist die erste in Berlin, in der ausschließlich erotische Literatur verkauft wird. Die beiden Ladeninhaberinnen, Sophie Hack und Stephanie Kuhnen, haben einen Raum geschaffen, in dem sich sowohl Frauen als auch Männer wohl fühlen sollen. Hier sollen Lesben einkaufen, Schwule, Heterosexuelle und solche, die sich in keine Schublade einordnen wollen.

Dementsprechend breit ist auch das Sortiment: Die beiden Lesben bieten erotische Kochbücher, hochwertige Bildbände mit schönen Nackten, pornografische Comics, sadomasochistische Literatur mit detallierten Fesselanleitungen, kitschige Pin-ups aus den 50er-Jahren, lesbische Liebesromane, Gesundheitsratgeber und ein bisschen Sexspielzeug.

Vor einigen Jahren wäre ein von Lesben geleiteter Buchladen für ein vollkommen gemischtes Publikum noch undenkbar gewesen. Damals waren die Räume noch säuberlich getrennt. Es gab Frauenzentren und -cafés, lesbische Diskotheken, schwule Bars. Eine Begegnung untereinander fand in der Öffentlichkeit nur selten statt. Das wollten die beiden Lesben, die seit über drei Jahren auch privat ein Paar sind, aufbrechen. „Meine persönliche Lesbennische hat mir nicht mehr gereicht“, sagt die 30-jährige Sophie Hack zur Begründung, warum sie eine Buchhandlung für ein „pansexuelles Publikum“ eröffnet hat.

Doch das Konzept hat nichts mit Beliebigkeit zu tun: Für Hack, die Jura studiert hat, ist der Laden ein „Politikum“: „An der erotischen Kultur kann man sehr gut ablesen, was der Stand der Dinge in der Gesellschaft ist“, sagt sie.

Zum Beispiel, dass Geschlechtergrenzen immer mehr verschwimmen und dass Frauen nicht mehr – wie noch Anfang der 90er-Jahre – explizite Freiräume für sich beanspruchen wollen oder können. Ein Beispiel sind die Universitäten: Dort sind feministische Seminare seltener geworden. „Die jungen Frauen von heute haben ein ganz anderes Selbstverständnis als vor 10 Jahren“, hat Sabine Hark beobachtet, die an der Universität Potsdam Dozentin für Frauen- und Geschlechterforschung ist.

Die Teens und Twens ernten die Früchte der Frauenbewegung ganz selbstverständlich und selbstbewusst, haben sich aber häufig mit der Thematik gar nicht auseinander gesetzt: „Die Studentinnen glauben, dass sie nicht diskriminiert werden und ihnen das Gleiche zugestanden wird wie den Männern.“ Mit Frauenpolitik und Feminismus würden sie häufig etwas Altbackendes, Anrüchiges verbinden. „Genderstudies“ ist dagegen ein begehrter Studiengang und dieser wird nicht nur von Frauen besucht. An der Humboldt-Uni sind ein Viertel der StudentInnen Männer.

Explizite Frauenräume funktionieren nur noch, wenn sie ganz spezifische Angebote darstellen, einen gewissen Dienstleistungscharakter haben und relativ ideologiefrei sind: Die Veranstaltungen zu Brustkrebs und prämenstruellen Beschwerden im Feministischen Gesundheitszentrum (FFGZ) sind nach wie vor gut besucht, Selbstverteidigungskurse für Frauen oft überfüllt.

Auch die Begine, die es seit 15 Jahren gibt, kann sich über „Zulauf nicht beschweren“, sagt Leiterin Gerhild Vollherbst. Der Verein, der als klassisches Frauenprojekt begann, hat sich modernisiert. Das Begine-Café in der Potsdamer Straße wird privatwirtschaftlich geführt, die Kulturveranstaltungen getrennt organisiert. Basisdemokratische Entscheidungen gibt es nicht mehr. Bei den Veranstaltungen muss nicht ausschließlich ein Frauenthema im Mittelpunkt stehen, aber es werden nur Referentinnen eingeladen. Die Bandbreite der Events ist bewusst vielfältig, ebenso die Besucherinnen. Auch 20-Jährige kämen zu Veranstaltungen über matriachale Volksgruppen in Indonesien, hat Vollherbst beobachtet, genauso wie zu einer Lesung von Inge Deutschkron. „Vielen Besucherinnen ist bewusst, dass wir ein Frauenraum sind, aber das Politische dabei spielt dabei keine so große Rolle.“

Auch Sophie Hack und Stephanie Kuhnen finden Frauen-oder Lesbenräume nach wie vor wichtig. Aber „wir sind viel zu anarchisch, die Leute in bestimmte Kästen zu stecken“, sagt Hack. Für die beiden gehört geschlechterübergreifende Offenheit zum Programm. Kuhnen, die sich Anfang der 90er viel in der autonomen Frauen-Lesben-Szene in Göttingen aufhielt, hat dort gegenteilige Erfahrungen gemacht. Die heute 31-Jährige wollte in einem Frauenbuchladen ein Handbuch über Sadomasochismus bestellen – am nächsten Tag tuschelte die ganze Szene über sie. In dem Frauenladen habe es keine Bücher über lustvollen Sex gegeben – ein Grund für Kuhnen, die bereits mehrere Erotikbücher herausgegeben und geschrieben hat, einen eigenen Buchladen aufzumachen.

Offenheit bedeutet für die beiden Frauen auch, heterosexuellen Männern eine Alternative zum Sexshop aufzuzeigen. „Viele Männer fühlen sich in ihrer Rolle, in der sie öffentlich definiert werden, auch nicht wohl“, hat Kuhnen beobachtet. Und deswegen fühlen sich Hack und Kuhnen auch als Beraterinnen, vielleicht ein bisschen als Psychologinnen. Zum Beispiel auch dann, wenn eine junge Frau hereinkommt, die ein Buch über das Coming-out haben will und sich nicht sicher ist, ob sie lesbisch ist oder nicht.

Für das Paar hat sich mit dem Geschäft ein persönlicher Lebenstraum erfüllt. Gesellschaftlich müsse noch viel passieren, sagen die beiden übereinstimmend. „Wir erleben gerade eine Backlash“, sagt Stephanie Kuhnen. Gewalt gegen Frauen steige an. Sendungen wie „Girlscamp“ verkörperten ein Frauenbild von „untergewichtigen DIN-4-Schnittchen. Kuhnen: „Frauen haben nach wie vor keine volle Defintionsmacht.“ Mit „Lustwandel“ hofft sie dazu beitragen zu können.

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