: Ägypten und sein schöner Schein
Kairo hat einen Masterplan: Die Metropole will sich als Ort der Träume und nicht der Realitäten verkaufen. Ziel ist es, die Stadt für Touristen attraktiver zu gestalten. Historische Nuancen und Belange der Einwohner bleiben dabei auf der Strecke
von LENNART LEHMANN
„Wir brauchen uns keine Sorgen mehr um Grundwasser, Erdbeben oder Erschütterungen durch eine eventuell neue U-Bahn Linie zu machen“, sagt der Restaurator Magdi Mansour und putzt sich die Brille. Seit zehn Jahren arbeitet er in Alt-Kairo. Er ist stolz auf sein Werk. Die Außenmauer der alten Festung ist komplettiert worden. Wenige im Original belassene Stellen vermitteln dem Besucher einen Eindruck vom Alter der Steine. Um die vom Schutt jahrhundertelanger Zivilisation freigelegten Mauern des Stadttores wird ein Freilichttheater gezogen. Der historische Komplex soll als Kulisse für ein Multimediaspektakel dienen, das den Besucher effektvoll über die Geschichte des Bauwerks informieren soll. 2002 sollen die Arbeiten abgeschlossen werden.
Auch im Koptischen Museum wird gebaut. Ingenieur Mohamed Saleh verscheucht eine Fliege, stützt die Stirn in die Hand und schließt die Augen. Plötzlich richtet er sich im Stuhl auf und knallt dreimal mit der flachen Hand auf den Tisch: „Idioten! Idioten! Idioten!“ Mohamed Saleh baut eine Dränageanlage für das historische Gelände. Der Grundwasserspiegel liegt zwei Meter über normal und nagt an den Fundamenten der denkmalgeschützten Bauten. Doch damit die Anlage funktioniert, müsste sie außerhalb des Museumsgeländes weitergeführt werden. Und das will niemand bezahlen.
Ein bürokratisches Problem: Die historischen Denkmäler stehen unter dem Schutz des Ministeriums für Kultur. Außerhalb der Mauern hat sich aber das Tourismusministerium für zuständig erklärt. Und dieses will das ihm zur Verfügung stehende Geld erst mal für andere Projekte ausgeben.
Auch ein Vertrauensproblem: 35 Millionen ägyptische Pfund, also rund 10 Millionen Dollar, sind bereits in Restaurierung, Gestaltung und technische Präventionsarbeiten auf dem Museumsgrundstück geflossen. „Wenn man die Dränageanlage nicht weiterführt, ist das, als wenn man ein Auto ohne Räder baut“, erklärt der Ingenieur händeringend. „Doch als ich hinging und den Verantwortlichen im Ministerium das Problem erklärte, verdächtigten sie mich, dass ich nur Verträge und Geld für meine Firma herausschinden will.“ Saleh fürchtet bereits das Schlimmste: „Was wird der Amm, der einfache Mann sagen, wenn er mit seinen Kollegen im Café Wasserpfeife raucht und hört, dass das Grundwasser nicht abfließt und all das Geld sinnlos verschwunden ist? Sie werden uns des Diebstahls verdächtigen!“ Er klatscht sich wieder mit der Hand an die Stirn.
Damit nicht genug, beschuldigt ihn der Vater der Hängenden Kirche, Morqos Aziz, bei Arbeiten ein Bild zerstört zu haben, das sich hinter einer verputzten Wand befand. „Wir hatten aber keinerlei Informationen, dass sich hinter dem Putz ein Bild befindet“, verteidigt sich Saleh.
Wolfgang Meyer, Referent am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) auf der Nilinsel Zamalek, beklagt dies Fehlen der „baugeschichtliche Begleitung“. Die östliche Stadtmauer, die ehrwürdige Ibn-Toloun-Moschee wie auch die Hängende Kirche würden unter technischen, aber zu wenig unter archäologischen Gesichtspunkten restauriert. Es mangelt, so Meyer, neben Know-how und technischen Hilfsmitteln an interdisziplinärem Denken. Die Ibn-Toloun-Moschee, klagen viele Ausländer, sei durch solche Arbeiten als Denkmal geradezu zerstört worden.
Die Restaurierung von historischen Gebäuden und die Sanierung der traditionellen Wohnviertel ist eigentlich ein altes Projekt. 1978 erklärte die Unesco die Kairoer Altstadt zum Weltkulturerbe. Spekulanten, Luftverschmutzung und eine immens hohe Wohndichte von bis zu 120.000 Einwohnern pro Quadratkilometer bedrohten die jahrhundertealten Gebäude. Jedoch sanierte man zunächst nur eine geringe Anzahl, die sich in staatlichem Besitz befand. Der Plan, eine Kanalisation für die Altstadt zu bauen, scheiterte und die ganze Sache schlief ein. Bis 1992 ein Erdbeben fast die gesamte Altstadt in Einsturzgefahr brachte und die Gemüter aufrüttelte. Die UNO stellte 400 Millionen Dollar zur Verfügung, um zu retten, was zu retten war. Neben der Erhaltung historischer Bauten ist nun auch an Platzgestaltung und die Einrichtung von Fußgängerzonen gedacht worden. Zwischen Bab Zuweila und Bab Futuh soll eine Promeniermeile entstehen. An der östlichen Stadtmauer errichtet die Aga-Khan-Stiftung einen Volkspark, der allerdings nicht jedermann zugänglich sein soll. „Es droht eine Schickimickisierung“, warnt Wolfgang Meyer. „Upgrading the area“ nennen die Planer diese Vorhaben.
Mona Zakaria, eine energische Frau um die vierzig, realisiert solche Vorhaben. Langsam fährt sie mit einem schwarzen Range Rover durch ihre Baustelle: das an die historischen Bauten grenzende Wohnviertel von Fustat. Das Gelände heißt technisch „Area 102“. Ihr Auftraggeber ist das Tourismusministerium. Alle paar Meter hält sie an und begrüßt einen bash mohandes, einen der ihr unterstellten Ingenieure und Architekten. Hier poliert Kairo seine Fassade. Mona Zakaria nennt es „Rehabilitation“. So wie die Amr-Ibn-al-As-Moschee haben auch die umgebenden Wohnhäuser eine gelbe Sandsteinfassade bekommen. Zumindest im Erdgeschoss. Da, wo das Auge des Touristen hinblicken wird. Man könnte glauben, alle diese Gebäude seien in einer Epoche entstanden.
Der „Masterplan“, nach dem sich die Architektin richtet, befiehlt „ein Design für ein ganzes Gebiet“. Ursprünglich wollte man gleich die Bevölkerung mit designen. Ländliche Zuwanderer und in heruntergekommenen Werkstätten arbeitende Töpfer, die diese Gegend seit je prägten, sollten verschwinden. Ihre Werkstätten wurden abgerissen. Doch Mona Zakaria kämpfte. „Die Stadt“, erläutert sie, „das sind die Leute. Wenn man die Bewohner nicht in die Rehabilitation integriert, dauert es nicht lange und alles sieht wieder schrecklich aus.“ Sie setzte sich durch. Den Töpfern werden neue Werkstätten gebaut. In drei Jahren sollen sie zurückkommen dürfen. Bis dahin müssen sie sehen, wie sie durchkommen. Die verbliebenen Bewohner, sagt Zakaria, seien dankbar, obwohl sie anfänglich den von oben verordneten Maßnahmen misstraut hätten. Ein neues Bewusstsein sei geschaffen worden. Durch die äußerliche Aufwertung ihrer Wohnhäuser habe die Bevölkerung die verwahrlosten Zustände realisiert und damit begonnen, ihre Straßen selbstständig zu pflegen.
Der Umbau eine zivilisatorische Maßnahme? Der Architekt ein Klient der städtischen Bevölkerung? Ob die Töpfer zurückkommen werden, wird man sehen müssen. Viele 1992 durch das Erdbeben obdachlos gewordene Menschen leben teilweise noch heute in Lagern außerhalb der Stadt. Und führt eine optische Aufwertung der Straßen bei den Bewohnern zu mehr Identifikation mit ihrer Heimat?
„Identität wird nicht über Schönheit, sondern über die Möglichkeit der Raumnutzung hergestellt“, findet Wolfgang Meyer. „Gibt es Räume, in denen man sich unbeobachtet von der Obrigkeit treffen kann? Wo können sich Frauen versammeln, wo Kinder spielen?“
Die neue Bushaltestelle im Viertel wird durch ein Portal angezeigt, das aussieht wie eine Mischung aus Moschee und Aquädukt. Was ist seine Funktion? Ein Drogenabhängiger nutzt den Schatten zum Schlafen. Von der Müdigkeit überrascht, ist er nicht mehr dazu gekommen, die Zigarette auszudrücken, die zwischen seinen Fingern glimmt. Die Stahltreppe des U-Bahn-Zugangs Mar Girgis ist unter Sandstein, blinden Mashrabiyas und orientalistischer Ornamentik verschwunden. „Die Treppe war hässlich“, verteidigt die Architektin ihre Idee. Alles, was nicht in die Disneywelt einer imaginierten Tradition passt, begräbt sie unter Dekorationen. Bei den zwölfstöckigen Wohnblocks versagt dieses Denken. Zakaria verpasst ihnen trotzdem den gleichen Schmuck. Im Erdgeschoss.
„Unfunktionalistische Folklorearchitektur für den folkloreverliebten Massentourismus auf der Suche nach Tausendundeiner Nacht“, spottet ein deutscher Architekt, der auf dem Gelände fotografiert. Kairo will sich verkaufen. Als Ort der süßen Träume, nicht der bitteren Realitäten. Fünf Millionen Touristen bringen jährlich Milliarden in die Staatskasse. Tendenz steigend. Al-Maghraby, Vorsitzender der Touristenkammer, erklärte jüngst der englischen Wochenzeitung Al-Ahram: „Wenn ein Tourist einen Urlaub bucht, bucht er nicht nur Unterkunft, sondern er kauft ein ganzes Land.“
Doch wird man damit den Kairoern und den Touristen gerecht? Für viele Touristen, die ein bisschen länger in Kairo verweilen, liegt der Reiz der Stadt in der Atmosphäre, die die Bewohner von Vierteln wie Darb al-Ahmar oder Gamaliya schaffen. Wenn Mona Zakaria einen Basar baut, der äußerlich kaum von einem der mittelalterlichen Gebäude zu unterscheiden ist, so werden in ihm trotzdem keine Schlachter, Gewürzhändler und Schmiede zu finden sein.
Mona Zakaria schwärmt von qualitativ hochwertigen Kleinkünstlern, Galerien, Buchläden und sauberen Cafés. Für Touristen und reiche Kairoer. Denn ohne ein finanzkräftiges Publikum und Investoren sieht sie den erneuten Verfall vorprogrammiert. Klassenbewusste Ägypter der Mittel- und Oberschicht blicken oft voll Verachtung auf die unteren Klassen. Dummheit, Ignoranz und Respektlosigkeit vor der Geschichte werfen sie ihnen vor. „Bad people“, die man durch frische, gelbe Sandsteinfassaden blendet und dadurch ruhig zu halten hofft.
Vielleicht steckt ja auch weiter gehendes politisches Kalkül dahinter: Wertet das Regime die historischen Viertel äußerlich auf und schafft es, dass Touristen sich nicht nur für Pharaonen, sondern auch für die islamische Vergangenheit interessieren, könnten islamistische Flügel in die Tourismusindustrie integriert werden und ihre oppositionelle Haltung gegenüber den Strömen von Fremden aufgeben. Islamisierung des Tourismus.
Die „bad people“ verstehen oft nicht, warum all das Geld in die alten Gemäuer gepumpt wird. Einer von ihnen ist Mahmud. Mit seiner achtköpfigen Familie teilt er sich zwei Zimmer in einem baufälligen Haus hinter der Zitadelle. Er wünscht sich lieber ein modernes Apartment „mit einem richtigen Bad und einer richtigen Küche“. Das Land der Träume sieht für jeden anders aus.
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