piwik no script img

Die Gerichte urteilen in Fragen des Sorgerechts „national“

Für einen ausländischen Vater ist es fast aussichtslos, vor einem deutschen Gericht das Sorgerecht für seine Kinder zu erhalten, wenn die Mutter Deutsche ist. Andersherum ebenso

BERLIN taz ■ Was wäre passiert, wenn Ibrahim Ali al-Sajed Mussa, der ägyptische Vater von Kerim und Rami, teure Ratschläge von einem Rechtsanwalt, einem Experten eingeholt hätte? An seiner verzweifelten Lage hätte es kaum etwas geändert. Mussa weiß ebenso gut wie ein Jurist, dass es für einen ägyptischen Vater ein aussichtsloses Unterfangen ist, vor einem deutschen Gericht das Sorgerecht für seine Kinder zu erhalten, wenn die Mutter deutsche Staatsangehörige ist. Dies gilt nicht nur für Staatsangehörige der „Dritten Welt“, sondern auch für US-Amerikaner oder Franzosen. Und vice versa.

Die Gerichte urteilen in Fragen des Sorgerechts „national“. Wenn das deutsche Konsulat den Visumantrag von Mussa nicht abgelehnt und Mussa seine Kinder mit ihren ägyptischen Pässen nach Ägypten entführt hätte, wäre das Ereignis in den Medien kaum wahrgenommen worden. Es gehört zum Alltag, wenn binationale Elternteile sich um das Sorgerecht ihrer Kinder streiten und die Kinder entführen.

Auch in diesem Fall erfuhren wir erst nach der spektakulären Geiselnahme, dass zuvor die Mutter die Kinder aus Ägypten mitgenommen hatte. Wahrscheinlich hat sie für die Kinder deutsche Pässe ausstellen lassen und bei der ägyptischen Passkontrolle vorgelegt.

Als die Mutter die Kinder aus Ägypten „entführte“, wusste auch sie sehr wohl, dass sie vor einem ägyptischen Gericht als Deutsche kaum die Chance hatte, das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten. Nach in Deutschland geltendem internationalem Privatrecht (EGBGB Art. 24) unterliegt die Vormundschaft dem Recht des Staates, dem das Kind angehört.

Selbst wenn das Kind neben der deutschen auch die ägyptische Staatsangehörigkeit hat, gilt nach EGBGB Art. 5: „Ist die Person auch Deutscher, so geht diese Rechtsstellung vor.“ Das heißt, die Kinder Kerim und Rami, die sowohl die deutsche wie die ägyptische Staatsangehörigkeit besitzen, sind in Deutschland vor einem deutschen Gericht Deutsche. Somit wird das deutsche Sorgerecht angewandt.

Nach deutschem Recht hat der Richter bei Sorgerechtsfällen „das Wohl des Kindes“ (BGB § 1671 Abs. 2 S. 2) zu berücksichtigen und nach diesem Prinzip zu urteilen. Darüber, was dem Wohl des Kindes dient, wird im Einzelfall entschieden. Gedanken des Richters wie: „Kann man in Ägypten Kinder erziehen? Ist es nicht ein Urlaubsziel, um die Pyramiden zu sehen?“, werden zweifelsohne den Ausgang des Verfahrens beeinflussen.

Sobald dann Kerim und Rami in Luxor ägyptischen Boden betreten, wird über das Sorgerecht ein ägyptischer Richter entscheiden. Dann werden dessen Vorstellungen über Kindererziehung in Deutschland das Urteil, das wahrscheinlich im Sinne des Vaters ausfallen wird, bestimmen. ESMAHAN AYKOL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen