piwik no script img

Wähler sind des Wählens müde

Hessische Kommunalwahl wird auf bundespolitische Bedeutung abgeklopft: Reps verlieren, Grüne verlieren, CDU gewinnt, die Wahlbeteiligung sackt ab

aus Wiesbaden KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

In der Bewertung der Kommunalwahl waren sich die etablierten Parteien in Hessen gestern zunächst einig. Dass die rechtsradikalen Parteien fast überall im Lande marginalisiert wurden, fanden die Spitzenpolitiker von CDU, SPD, FDP und Grünen begrüßenswert. Bemerkenswert fanden alle auch den Stimmenzuwachs für die CDU um 6 Prozentpunkte auf knapp 40 Prozent (landesweiter Trend gestern); als „begrüßenswert“ ordnete das nur die Union ein. Dass zwischen diesen beiden Ergebnissen ein „gewisser Zusammenhang“ bestehen könnte, fiel zuerst dem Landesvorsitzenden der SPD auf.

Der tiefe Fall etwa der „Republikaner“ (Reps) um 4,1 Prozentpunkte auf nur noch 2,5 Prozent landesweit korrespondiere doch mit dem gänzlich unerwarteten Höhenflug der CDU, merkte Bundesfinanzminister Hans Eichel an. Werten wollte Eichel das allerdings nicht. Er freute sich über den Stimmenzuwachs für seine Partei von einem Prozentpunkt auf 39 Prozent (Trend). Die FDP kam auf 5 Prozent (Trend). Von einem generellen Trend gegen die Rechtsextremen wollte allerdings noch kein Politiker von CDU, SPD, FDP und Grünen sprechen. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz seien zunächst abzuwarten.

Die Bündnisgrünen, die im Vergleich mit der letzten Kommunalwahl 2,4 Prozentpunkte verloren und nur noch auf 8,6 Prozent (Trend) kamen, fanden noch einen Weg, auch dies als Erfolg zu feiern. Landesvorstandssprecher Hubert Kleinert riet, die Zahlen mit dem Landtagswahlergebnis von 1999 zu vergleichen. „Dann haben wir 1,5 Prozentpunkte dazugewonnen“, rechnete Kleinert vor. Allerdings gab es Verluste gerade in den Kommunen, in denen die Partei in den Rathäusern mitregiert habe; vor allem mit der SPD. Die rot-grüne Koalition etwa in Wiesbaden ist seit Sonntag nur noch Historie. Die in Marburg und Darmstadt stehen auf der Kippe.

Sind Koalitionen zwischen SPD und Grünen auf der kommunalen Ebene also ein Auslaufmodell? Davon wollten Kleinert und der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Tarek Al-Wazir, nichts wissen. Schließlich würde es auch Gegenbeispiele geben. Im Landkreis Groß-Gerau etwa werde es wohl zu einer neuen rot-grünen Koalition kommen, weil dort im Umland des Flughafens die SPD die absolute Mehrheit verloren habe. In Frankfurt übrigens schaffte die kleine Liste FAG (Flughafen-Ausbaugegner) auf Anhieb den Sprung in den Römer, das Rathaus; ganz im Gegensatz zur Liste „ÖkoLinx“ der ehemaligen grünen Fundamentalistin und praktizierenden „Radikalökologin“ Jutta Ditfurth.

Natürlich ließ sich Ministerpräsident Roland Koch schon am Wahlabend als „Wahlsieger“ (CDU) feiern. Er selbst hatte die Kommunalwahl zur „Testwahl“ für die Union im Jahre eins nach der „Entdeckung“ der schwarzen Kassen und schwarzen Konten bei der hessischen CDU ernannt. Der sozialdemokratischen These, wonach die äußerst geringe Wahlbeteiligung von nur 55 Prozent – ein Minus von 12 Prozent – auf die Politikverdrossenheit der Wählerinnen und Wähler wegen der Schwarzgeldaffäre der CDU zurückzuführen sei, konnten Unionspolitiker gestern auch wenig abgewinnen. Sie führten den Stimmenzuwachs für die CDU als Gegenbeweis an und verwiesen auf das neue Wahlsystem (mögliche Stimmenhäufung und Stimmenübertragung auf andere Listen), das vor allem ältere Menschen von einem Gang zum Wahllokal abgeschreckt habe. Allerdings: Als das neue Kommunalwahlsystem in Rheinland-Pfalz eingeführt wurde, stieg die Wahlbeteiligung um zwei Prozent.

Wird die Wahlmüdigkeit sogar zum Landes- und Bundestrend? Hans Eichel jedenfalls forderte eine „Nichtwähleranalyse“ von den Wahlforschern; die Wähler seien genug befragt worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen