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Zweites Nein aus New York

US-Richterin Shirley Kram lehnte es erneut ab, die Sammelklage gegen deutsche Banken abzuweisen. Sie verweist auf Ansprüche aus dem österreichischen Bankenvergleich. Lambsdorff: Abweisung nicht „hinreichend“ für Entschädigungsbeginn

von CHRISTIAN SEMLER

Am Dienstagabend hat die New Yorker Richterin Shirley Wohl Kram ein zweites Mal „Nein!“ gesagt. Sie weigerte sich erneut, der Klageabweisung zuzustimmen, auf die sich die verklagten deutschen Banken und die Kläger – in ihrem Vermögen geschädigte Naziopfer oder deren Erben – geeinigt hatten. Diese Abweisungen gelten nach der Rechtsauffassung der deutschen Seite als Voraussetzung dafür, dass der Bundestag das Kriterium der „Rechtssicherheit“ für die deutschen Firmen in den USA als erfüllt ansieht. Erst dann könnten die Auszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter beginnen.

In ihrer Begründung drückte Richterin Kram „ihr Mitgefühl und ihre Sorge“ angesichts der langen Wartezeit für die betagten ZwangsarbeiterInnen aus. Noch mehr Sorgen bereitete ihr allerdings das Schicksal der Ansprüche, die aus einem Vergleich resultieren, dem sie selbst im vergangenen Jahr zugestimmt hatte. Damals war eine Sammelklage, eine „class action“, von Überlebenden des Holocaust, deren Erben beziehungsweise der Jewish Claims Conference gegen österreichische Banken mit der Verpflichtung beigelegt worden, dass die Banken 45 Millionen Dollar an die in ihrem Vermögen geschädigten Naziopfer zahlen.

Die „Arisierungen“ und Beschlagnahmungen waren damals, 1938, von den österreichischen Banken nur nominell durchgeführt worden. In Wirklichkeit handelte es sich um einen Raubzug deutscher Großbanken, die nach dem „Anschluss“ auch den österreichischen Bankensektor kontrollierten. Eingedenk dieser Tatsache legte der Vergleich des Jahres 2000 fest, dass Ansprüche der österreichischen Banken gegen ihre ehemaligen deutschen Kontrolleure direkt an die jüdischen Opfer abgetreten würden. Diese Ansprüche könnten dann über die 45 Millionen Dollar hinaus in Form von „assigned claims“ – vermutete, aber noch nicht erhobene Ansprüche – im Rahmen der „class action“ geltend gemacht werden.

Die Vergleichssumme war nach Meinung von Entschädigungsfachleuten seinerzeit viel zu niedrig angesetzt worden. In der Tat zeigte sich, dass der Topf nicht hinreichte. Seitens des New Yorker Anwalts Jack Dweck wurden nun zu Anfang des Jahres bei Richterin Kram weitere Ansprüche aus „assigned claims“ angemeldet. Deren Höhe ist bislang nicht beziffert. Auch ist unklar, wen dieser Anwalt eigentlich vertritt. Dass Shirley Kram jetzt dennoch auf angebliche Ansprüche aus „assigned claims“ einging, wird als eine Art nachträglicher Selbstkritik an dem zu „weichen“ Vergleich gegenüber den österreichischen Banken gewertet.

Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Kanzlers für die Stiftungsinitiative, hat gestern klar gemacht, dass er Zahlungen aus dem Stiftungsfonds an Berechtigte aus dem Banken-Vergleichsverfahren des Jahres 2000 kategorisch ablehnt. Lambsdorff bestand auf einvernehmlicher Klageabweisung und wird zusammen mit den Opferanwälten in die Berufung gehen. Er versicherte, das Berufungsverfahren werde „mit aller Energie“ betrieben. Einen „zeitlichen Horizont“ könne er allerdings nicht vorhersagen. Sachkenner schätzen die weitere Wartezeit der Zwangsarbeiter auf ein bis zwei Monate ein.

Zur Verkürzung des Verfahrens wird auch nicht Lambsdorffs Erklärung beitragen, die Abweisung der Bankenklagen sei eine „notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Beginn der Auszahlungen“. Mit dieser Klausel besteht Lambsdorff (und damit die Bundesregierung) darauf, dass auch noch die letzte anhängige Klage in den USA abgewiesen werden muss – unabhängig von ihren Erfolgsaussichten. Damit wird das Datum für eine Entschließung des Bundestages unabsehbar.

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