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Die Klangmalerei der Bilderbuchtore

Fußballreportagen im Remix: Eine Hommage des deutschen Elektronik-Undergrounds an den Radiohelden Günther Koch zum 25. Dienstjubiläum

„Das wird wieder Überschriften geben morgen, meine Damen und Herren. Von den Medien, von den Neidern, von den kleinen Plattarschindianern.“ Mit solchen Sätzen hat sich Günther Koch unsterblich gemacht.

Dabei ist Günther Koch eigentlich kein Fußballreporter. Auch wenn er seit 25 Jahren im Stadion den Platz hinterm Mikrofon einnimmt, um seine Stimme, seine Emotionen, mithin sein gesamtes komplexes Ich einfließen zu lassen in ein spirituelles Ganzes namens Radiokonferenzschaltung der ARD. Trotz dieser äußerlichen Ähnlichkeiten ist Günther Koch kein Fußballreporter, denn die Niederung einer solchen Berufsbezeichnung würde dem Klangmaler aller Bilderbuchtore kaum gerecht. Koch ist Fan, nicht Journalist, ist hemmungsloser Populist und subtiler Lyriker zugleich – einzig der Hingabe an den Augenblick verpflichtet und damit losgelöst vom verlogenen Berufsethos, das auf Objektivität verpflichten will.

Kochs Schachtelsatzungetüme befördern einen drögen Kick aus den Tiefen der Stammtischphilosophie in die Höhen des Bildungsbürgertums. Er beherrscht den Sprung von der Onomatopöie des DaDa („Babbel! Babbel! Babbel! Babbel!“) hin zur Baukastenmethode der multiplen Verneinungskonstruktion („Das ist nicht ganz unrisikovoll.“). Sein emotionales Repertoire reicht vom Höllenfeuer der Abstiegsapokalypse („Ich will das nicht mehr!“) bis zum kühlen Kalauer, mit dem sich die Werktätigen der Republik das Montagmorgen-Danach versüßen („Die Spieler dieser Mannschaft sind so oft verletzt, sie sollten vielleicht besser in die Verbandsliga gehen“).

Koch ist der Egozentriker, der seine eigenen Gefühle zum Mittelpunkt der Fußballwelt erklärt und diese voll charmanter Arroganz mit dem Interesse seiner Hörer gleichsetzt. Er zelebriert den Augenblick und gebietet doch über ein Referenzsystem aus vielen Jahrzehnten Fußballkultur. Koch ist ein Star in der Kommerzmaschine Fußball und rebelliert zugleich gegen konforme Berichterstattung, wo auch das schlappste Spiel zur Sensation stilisiert wird, damit Werbekunden ein attraktives Sendeumfeld vorfinden.

Diese widersprüchlichen Eigenschaften teilt Günther Koch mit der Welt und den Protagonisten des Pop. Daher verwundert es kaum, wenn ihm nun zum 25. Jubiläum zahlreiche Künstler aus House, Elektro, Avantgarde und Punk ihre Wertschätzung bekunden, indem sie Kochs Reportagen zu Tracks und Songs umformen. Als Klang- und Inspirationsquelle dienen dabei die Dokumentar-CDs „Wir rufen Günther Koch“, Vol. 1 und Vol. 2 (beide bei Zomba Records), die 1997 und 1998 erschienen sind.

Eine sinfonische Komposition eröffnet die Hommage an den Pavarotti der Stadionchöre, dem die Sparks ihr „Concerto in Koch Minor“ widmen, in der sie das Operettenhafte, das Manirierte in Kochs Kommentaren betonen. Wie der wahre Dirigent des Spielgeschehens lässt dessen Stimme Geigen oder Cembalo tanzen, als hätte sie das Libretto und damit auch das Spielergebnis schon vor langer Zeit in Stein gemeißelt.

Am gegenteiligen Ende der Gefühlsskala liegt der Moment des Abstiegs von Kochs geliebtem 1. FC Nürnberg, den die Narcotic Brothers mit einem Requiem eingefangen haben. Hier hallt Kochs Stimme so verzweifelt verloren aus dem Hintergrund wie einst die von Purple Schulz. „Ich will das nicht mehr!“, schreit Koch und ergibt sich zugleich dem leidvollen Wissen, dass auch er nur handlungsunfähiges Opfer ist. Fußball ist schrecklich!

Neuer Spieltag, neues Glück. „Fußball ist ein so wunderbares Spiel“, zitieren die Sportfreunde Stiller ihren bajuwarischen Glaubensbruder, „da ist alles möglich.“ Entsprechend positiv klingt ihr elektronisch-blubbernder Song, dessen Vokoder-Gesang samt Steinzeit-Synthesizer an die kalkulierte Naivität und den Aufbruchsgeist von Kraftwerk erinnern.

Hans Niewandt schleppt Koch in die Disco des denkenden Mannes. Doch zielt sein Track „Klubberer!“ nicht mehr auf die sprachliche, sondern auf eine rein klangliche Ebene. Über housigen Keyboards und einem störrischen 4-to-the-floor-Beat wabert die Stimme nur noch als abstraktes Sample, als schiere Textur in einem Remix, der sich weitestmöglich von der Originalquelle entfernt und so das übergeordnete Thema dieser Doppel-CD anspricht.

Denn die Compilation ist nicht nur eine Hommage an Koch, sie ist auch ein Hörspielexperiment über die Kunstform des Remixens und der künstlerischen Interpretation eines vermeintlich alltäglichen Ausgangsmaterials. Das wird deutlich, wenn man die abstrakten Noisemanipulationen von Hans Platzgumer, Funkstörung, Khan, Gringotone, Loopspool oder Caspar Brötzmann vergleicht mit den betont poetischen Lesungen einiger Reportagen durch die Schauspielerin Jennifer Minetti. Zwischen elektronischem Underground und der Anmutung der Hochkultur bewegen sich die Ergebnisse eines Klangexperiments, das im Rahmen der Hörspiel- und Performance-Reihe „Intermedium“ inszeniert wurde und mit dem sich die Sendeanstalten der ARD unter Leitung des Bayerischen Rundfunks erstaunlich progressiv geben.

Aus der Kombination von Pop und Fußball ist endlich einmal mehr entstanden als die prollige Bierseligkeit, mit der die Toten Hosen 1990 nach Italien fuhren, mehr als die nächste pseudoeuphorische Stadionhymne und ganz sicher mehr als die üblichen „Udo Jürgens und die deutsche Nationalmannschaft“-Peinlichkeiten. Erstmals begegnen sich auch hierzulande Künstler und das Spiel Numero uno auf der guten Seite der Popkultur. Die Engländer können neidisch sein. BJÖRN DÖRING

Doppel-CD: „Voll in den Mann – Günther Koch revisited“ (BR / Intermedium rec.)

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