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Die Namenlosen in die Gegenwart ziehen

Gemeinsames Projekt: Das Oratorium „Pempe, Albine und das ewige Leben der Roma und Sinti“  ■ Von Petra Schellen

Selbstverständlich, man weiß Bescheid, ist informiert über den Holocaust nicht nur an den Juden, sondern auch über die Ermordung von Schwulen, Lesben, Sinti und Roma. Und doch klafft eine Lücke in der Wahrnehmung: Zwar werden auch Sinti und Roma immer wieder pflichtschuldigst als Opfer erwähnt. Eine durchsetzungsstarke Lobby hat sich aber bis heute nicht gebildet. Und auch politisch scheint man auf Vorurteile weiter bauen zu können: Gerade in den letzten Wochen haben die Slowakei und Ungarn dem russischen Geheimdienst vorgeworfen, Roma in die ehemaligen Länder des Warschauer Paktes zu treiben, um dessen soziale Stabilität und EU-Würdigkeit in Frage zu stellen.

Auch bei den Sinti und Roma herrscht keine Einigkeit bezüglich der öffentlichen Präsentation. Als sich deutlich artikulierende Gruppe werden sie daher nicht wahrgenommen und haben, so scheint es, jeden derartigen Versuch aufgegeben. Und genau dieses stagnative Mus-ter ist es, das der seit 1978 im Hamburg lebende Rom Stefan Romeyan mit einem Musikstück aufbrechen will, das er für die diesjährige Holocaust-Gedenkveranstaltung der Hamburger Bürgerschaft gemeinsam mit Michael Batz geschaffen hat. 500 Menschen hat die Aufführung des Oratoriums Pempe, Albine und das ewige Leben der Roma und Sinti am 25. Januar ins Rathaus gelockt – aber entscheidend ist nicht die Außenwirkung: „Sinti und Roma haben sich erstmals an einem gemeinsamen Projekt beteiligt“, betont Romeyan, der seit fünf Jahren Sinti und Roma an der Schule Friedrichstraße in ihren Muttersprachen alphabetisiert. „Ich wollte die instrumentell virtuosen Sinti und die gesanglich orientierten Roma musikalisch zusammenbringen“, sagt Romeyan, der durch alle Raster fällt, weil er als einziger Rom per Computer-Notationsprogramm komponiert.

Von der Reise in den Tod handelt das Oratorium, das jetzt in der Lübecker St.-Petri-Kirche aufgeführt und vom NDR-Fernsehen aufgezeichnet wurde. Anhand der Biographien zweier Personen, deren Namen Batz in Hamburger Akten fand, wird der Leidensweg der Sinti und Roma nachgezeichnet: „Das Stück vollzieht die Reise von der Hamburger Niemandstraße in die Lagerstraße in Auschwitz nach.“ Alle Informationen sind den Aktennotizen über den Rom Pempe und die Sintica Albine Weiß entnommen, die 1943 nach Auschwitz deportiert wurden; der schmale Nachlass von Weiß brachte dem Hamburger Stadtsäckel, so ist es säuberlich verzeichnet, 122 Reichsmark und 80 Pfennige.

Von schwarzen Türen ist im Text die Rede – jenen der Erinnerung, hinter denen die Namenlosen darauf warten, dass die Lebenden ihrer gedenken. Von brutalen medizinischen Versuchen des Doktor Mengele erzählen die beiden solistischen Sprecher, immer wieder abgelöst von Instrumental- und Chorpartien, die – Psalmen oder Klageliedern gleich – verzweifelte Anrufungen Gottes sind.

Möglichst authentisch soll sich das Oratorium dem Schreckensort Auschwitz nähern und Details der Hamburger Sinti- und Roma-Deportationen zwischen März und Juli 1943 offenbaren. Zwischen die Texte hat Romeyan Roma- und Sintimusik gesetzt, hat jazzigen Django-Reinhardt-Stil mit jüdisch klingenden Chorpartien verbunden und beide Stile musikalisch verklammert. „Denn letzlich war es unser gemeinsames Schicksal; die Nazis haben keineswegs so exakt zwischen Sinti und Roma unterschieden wie wir“, sagt Romeyan. Genau unterschieden hat allerdings Mengele, der Mädchen ohne Betäubung sterilisierte und dazu Bonbons verteilte. „Welche Farben hat unsere Seele, wieviel Mensch bleibt übrig, wenn man unsere Köpfe aufschneidet?“ fragen die Sprecher im Mittelteil des Stücks.

Doch trotz solcher Härten wirkt das Werk nicht sentimental: Es genügt, dem Bericht von der Stille nach der „Zigeunernacht“ 1944 in Auschwitz eine 15-sekündige Pause folgen zu lassen. „Diese Stille, man kann sie heute noch hören. Keine Musik mehr. Nichts.“ endet der Text. Und erlaubt vielleicht gerade deshalb einen behutsamen Neubeginn.

Der Sendetermin des NDR steht noch nicht fest

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