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Rechte Musik als Einstieg

Die Zahl militanter Rechtsextremisten ist laut Verfassungsschutzbericht weiter gestiegen

von SEVERIN WEILAND

Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten ist auch im vergangenen Jahr weiter angestiegen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz zählte 998 Gewalttaten gegenüber 746 im Jahr 1999. Bundesinnenminister Otto Schily drückte denn auch gestern bei der Vorstellung des Jahresberichtes 2000 seine Sorge über die „wachsende Gewaltbereitschaft jugendlicher Täter“ aus.

Für viele bleibe Skinheadmusik der Einstieg in die gewaltbereite Szene. Zwar stieg die Zahl der Bands im vergangenen Jahr um 8 auf 101 an, zugleich wurde aber im Vergleich zum Vorjahr ein Viertel weniger Konzerte registriert. Mehr als 20 Konzerte wurden von der Polizei aufgelöst, 17 weitere im Vorfeld verboten oder abgesagt.

Die Sensibilität der Bürger, aber auch der Ermittlungsbehörden ist laut Schily ein Grund dafür, dass die Zahl erfasster Staftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischem Hintergrund angestiegen ist. Das Bundeskriminalamt listete im vergangenen Jahr 15.951 Straftaten gegenüber 10.037 im Jahr 1999 auf. Bei den gewaltbereiten Rechtsextremisten gibt es deutliche Ost-Westunterschiede: Von den 9.700 Anhängern (1999: 9.000) lebt mehr als die Hälfte in Ostdeutschland.

Der organisierte Rechtsextremismus offenbart ein differenziertes Bild: Während die Zahl der Parteimitglieder insgesamt durch die Schwächung der „Republikaner“ zurückging, konnte die NPD eine Zunahme verzeichnen. Sie zählt nun 500 Mitglieder mehr als 1999 und kommt auf eine Gesamtzahl von 6.500. Der laufende Verbotsantrag, so die Einschätzung Schilys, habe die NPD aber verunsichert.

Stärkste Partei im rechtsextremen Spektrum bleibt die DVU, die 17.000 Mitglieder hat und in drei Landesparlamenten vertretenist. Dagegen sind die „Republikaner“ nach der Niederlage in Baden-Württemberg in keinem Landesparlament mehr vertreten.

Das Internet wird laut Schily von den Rechtsextremisten zunehmend als Mittel der Agitation genutzt, auch durch das Versenden von diffamierenden Mails. Fast um das Dreifache stieg die Zahl der Homepages: von rund 330 in 1999 auf rund 800.

Rund ein Drittel weniger Platz – nämlich 60 Seiten – nimmt der Linksextremismus in dem Bericht ein. Die Straftaten stiegen hier gegenüber 1999 um 4 Prozent auf 3.173. Auch die Gewalttaten nahmen um 16 Prozent zu (von 711 auf 827). Seit der Auflösung der Rote Armee Fraktion vor drei Jahren hat sich laut Verfassunsschutz keine neue vergleichbare terroristische Organisation mehr herausbilden können, auch wenn im autonomen Lager einzelne Bestrebungen zu terroritischen Aktivitäten zu verzeichnen sind.

Im parteipolitisch organisierten Bereich konstatiert der Bericht eine fortdauernde Schwächung marxistisch-leninistischer Parteien wie der DKP und der MLPD.

Auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird die PDS erwähnt. Sie werde weiterhin beobachtet, weil sie, wie es Schily formulierte, „ambivalent aufgestellt ist“. Nach wie vor dulde die PDS die Kommunistische Plattform, auch in Führungsgremien. Für den Ausländerextremismus nannte Schily den islamistischen Fundamentalismus als „beträchtlichen Gefahrenherd“. Im Bericht selbst wird die veränderte Taktik der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus hervorgehoben. Die Organisation betone zwar in jüngster Zeit die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur Integration in die deutsche Gesellschaft. Dies entspreche aber weniger einem inneren Wandel als taktischem Kalkül: Nach wie vor strebe sie eine auf islamischem Recht gründende Gesellschaftsordnung an.

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