: „ . . . ist nicht bekannt“
Regierung bleibt auf viele Fragen zur Bilanz des Kosovokriegs die Antwort schuldig
BERLIN taz ■ Rund drei Viertel der serbischen Bevölkerung des Kosovo und etwa 45 Prozent der anderen ortsansässigen Minderheiten sind seit dem Ende des Krieges und der Stationierung internationaler Truppen in der Region von dort geflüchtet. Das ergibt sich aus der 97-seitigen Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der PDS-Fraktion zur Bilanz der Nato-Operation. Angehörige von Minderheiten seien „besonders sicherheitsgefährdet“, heißt es auch in dieser Antwort. Die Bundesregierung begrüße daher „die umfassenden von Unmik und KFOR ergriffenen Maßnahmen zum Schutz dieser Menschen“.
Einleitend wird betont, es sei für die Bewertung des militärischen Eingreifens der Nato wichtig, „dass nicht Täter und Opfer miteinander verwechselt werden“. Sicher hätten nicht nur die Serben Schuld auf sich geladen, aber die Entwicklung im Kosovo sei „Teil einer gezielten Strategie der Belgrader Führung unter Slobodan Milošević“ gewesen, und die „systematische, gewaltsame Vertreibung der Kosovo-Albaner“ habe längst eingesetzt, als die Nato-Luftangriffe begannen.
Über die konkreten Folgen der Militärschläge scheint die Bundesregierung nur wenig zu wissen. Es sei nicht bekannt, wie viele Menschen bei den Luftangriffen insgesamt ums Leben kamen, wie viele Angehörige der jugoslawischen Armee und der UÇK dabei getötet wurden und wie hoch die materiellen Schäden für die zivile Wirtschaft geschätzt würden. Wie viele zivile Produktionsstätten, Wohnungen und Infrastruktureinrichtungen wurden durch die Luftangriffe beschädigt oder zerstört? „Die Anzahl ist der Bundesregierung nicht bekannt.“ Wie viele Arbeitsplätze wurden zerstört? „Die Anzahl ist der Bundesregierung nicht bekannt.“
„Keine verifizierten Erkenntnisse“ hat die Bundesregierung auch über die Existenz von Konzentrationslagern im Kosovo, von denen Verteidigungsminister Rudolf Scharping während des Krieges gesprochen hatte. Etwas verwirrend lesen sich die Angaben über den umstrittenen „Hufeisenplan“, der früheren Äußerungen Scharpings zufolge das serbische Ziel einer Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo belegt. Dazu heißt es, die Bundesregierung habe Anfang April 1999 von dem vertraulichen, nachrichtendienstlichen Material Kenntnis erhalten. Darin seien als Ziele „die Zerschlagung bzw. Neutralisierung der UÇK“ genannt. „In der Auswertung der Unterlagen“ seien die Vertreibungen der kosovo-albanischen Bevölkerung ebenfalls als Bestandteil der jugoslawischen Planungen gesehen worden „und durch das Vorgehen der jugoslawischen Streitkräfte im Kosovo bestätigt.“
Insgesamt scheint die Antwort auf die PDS-Anfrage vor der Zuspitzung der Lage in Makedonien fertig gestellt worden zu sein. Dafür spricht die lapidare Auskunft, die UÇK sei im September 1999 „offiziell aufgelöst“ worden, ebenso wie der Hinweis: „Tatsächlich muss davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Auflösung der UÇK nur ein Teil der in Umlauf befindlichen Waffen sichergestellt werden konnte.“ Ganz offensichtlich. BG
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