: Schön, blond und profitabel
Der Mädchen- und Frauenhandel in Europa boomt: Jährlich erwirtschaften Menschenhändler damit bis zu 13 Milliarden Dollar, stellt ein Expertenhearing des Europarats fest. Die Politik spielt mit: In Europas Gefängnissen sitzen mehr Opfer als Täter
aus Paris DOROTHEA HAHN
„Eine Frau kann man achtzehn Mal verkaufen“, sagt die Europaparlamentarierin Patsy Sörensen. „Wenn sie schön ist und blond, bringt sie viel Geld“, sagt Briseida Mema vom „Albanischen Frauenforum“, die auf dem Balkan Auktionen erlebt hat, bei denen versklavte Frauen meistbietend versteigert werden. „In Moldawien kosten sie 150 Dollar, bei der Ankunft in Italien 5.000“, sagt der italienische Priester Cesare Loserto, der in San Foca das Zentrum „Regina Pacis“ für geflohene Sexsklavinnen betreut, „monatlich müssen sie dann 25.000 Dollar erwirtschaften.“
Der Handel mit Frauen ist ein Milliardengeschäft. Alljährlich werden weltweit zwischen 700.000 und 2 Millionen Frauen versklavt, schätzen UN-ExpertInnen. Mindestens 120.000 von ihnen gelangen auf die Märkte der EU. In Europa macht das organisierte Verbrechen mit ihnen alljährlich zwischen 7 und 13 Milliarden Dollar Gewinn.
Den hochorganisierten Banden, an deren Spitze nach Einschätzung von ExpertInnen gegenwärtig Türken und Russen stehen und deren Unterorganisationen vielfach von Albanern, aber auch „Mitarbeitern“ aus den Herkunftsländern der Sexsklavinnen kontrolliert werden, stehen ein paar zaghafte Versuche von internationalen Organisationen gegenüber, den Frauenhandel zu stoppen. Bislang blieben sie erfolglos, wie zahlreiche ExpertInnen feststellten, die am Montag in Paris bei einem Hearing des Europarates sprachen. Den GegnerInnen des Frauenhandels fehlt es an allem – vom politischen Willen über Gesetze bis hin zu finanzieller Unterstützung.
Frauen, die gegen ihren Willen verschleppt und in westeuropäischen Ländern zur Prostitution gezwungen werden, genießen fast nirgends Schutz durch die örtlichen Behörden. Nur zwei europäische Länder – Belgien und Italien – haben Gesetze erarbeitet, die vorsehen, dass Zwangsprostituierte, die aussteigen und gegen ihre Peiniger aussagen wollen, zumindest eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung sowie Wiedereingliederungsbeihilfen bekommen.
Für alle anderen Länder gilt, dass Zwangsprostituierte, die aussteigen wollen, im Zweifelsfall in Abschiebehaft geraten. „In den europäischen Gefängnissen“, so eine Expertin bei dem Europaratshearing, „sitzen mehr Opfer als Täter.“
Über ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall, in dessen Folge der Handel mit Frauen aus Osteuropa um mindestens das Dreifache stieg, ist diese Feststellung ernüchternd. Schon Mitte der 90er-Jahre interessierten sich Europäische Union und Europarat für das damals noch neue Phänomen. Doch von den damals entworfenen internationalen Konventionen ist bislang keine in Kraft getreten. Nach wie vor gibt es bloß isolierte Versuche einzelner Initiativen, den Opfern aus ihrer Zwangslage herauszuhelfen: Eine Gruppe in Belgien, die ausstiegswilligen Sexsklavinnen zu Papieren, Unterkunft und im Notfall auch einer neuen Identität verhilft. Eine Gruppe in Nizza, die junge Frauen auf der Straße anspricht und ihnen Zufluchtsheime vorschlägt. Und das Zentrum in Italien, das Aussteigerinnen vorübergehend beherbergt.
Für die Opfer reicht das meist nicht: Sie stehen zwischen Zuhälterringen einerseits, die ihre Papiere in Händen halten und sie bedrohen, und zwischen ihren Herkunftsländern andererseits, in denen ganze Familien von ihnen abhängen.
Statt eine gemeinsame Politik gegen den Menschenhandel zu betreiben, versucht sich jedes europäische Land an einer nationalen Politik. Während in den Niederlanden die „Normalisierung“ der Prostitution „als Beruf“ betrieben wird, ist in Schweden die Nachfrage nach Prostitution unter Strafe gestellt worden. Der schwedische Versuch hat immerhin zum Ergebnis, dass Menschenhändlerringe das Land weitgehend vermeiden.
Die meisten osteuropäischen Zwangsprostituierten, so die Beobachtung der in Paris versammelten ExpertInnen, stammen aus Moldawien und der Ukraine. Die Handelsrouten, über die sie in den Westen gebracht und auf denen sie versteigert werden, führen über den Balkan. Eine Verfolgung der Kriminellen findet kaum statt. In der Ukraine beispielsweise, aus der im vergangenen Jahrzehnt mindestens 100.000 Frauen in den Westen verschleppt wurden, ist bislang kein einziger Frauenhändler inhaftiert worden, berichtet Larysa Kobelyanska. Auch in Albanien, wo „bei schönem Wetter Schiffe voller Zwangsprostituierter in Richtung Bari in See stechen“, wie Europaparlamentarierin Sörensen mitteilt, „interveniert die Polizei nicht“.
Routen und Vorgehensweisen der Menschenhändler ändern sich ständig. So setzen sie gegenwärtig verstärkt Albanerinnen als Zuhälterinnen ein. Sie verschieben auch verstärkt schwangere Frauen: Die genießen einen größeren politischen Schutz und die Babies können ebenfalls verkauft werden.
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