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Ihre Liebe zählte nicht

■ Vier PKK-Leute wegen Tötung eines Liebespaares hinter Gitter / PKK-Funktionär der Beihilfe schuldig

49 Tage lang hat sich das Bremer Schwurgericht durch widersprüchliche Aussagen von vier Kurden aus dem PKK-Umfeld gekämpft. Gestern ist das Urteil im Mordprozess gefallen. Drei Hauptangeklagte wurden des zweifachen Totschlags für schuldig befunden. Das Trio hatte das kurdische Liebespaar Ayse Dizim und ihren Lebenspartner Serif Alpsozman im August 1999 umgebracht, sich allerdings bis zum letzten Tag die schwerste Schuld gegenseitig zugeschoben. Der vierte Angeklagter, ein lokaler PKK-Mann, wurde wegen Beihilfe zum zweifachen Totschlag verurteilt.

Für 15 Jahre müssen zwei der Männer nun hinter Gitter. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie das Liebespaar, das gegen jede kurdische Konvention und Moralvorstellung zusammen lebte, brutal umbrachten, indem sie der Frau den Kopf in den Weserschlick drückten. Dem Mann zerschlugen sie mit dem Radschlüssel den Kopf. Über dessen reglosen Körper fuhr dann der dritte Täter. Er bekam 13 Jahre. Der wegen Beihilfe verurteilte ehemalige PKK-Gebietsverantwortliche in Bremen Nord muss neuneinhalb Jahre in Haft. ZuhörerInnen im Gerichtssaal brachen bei der Urteilsverkündung laut in Weinen aus.

„Alle haben hier versucht, sich zu entlasten. Jeder hat etwas gesagt, was nicht stimmt“, leitete der Vorsitzende Richter Kurt Kratsch die 90-minütige Urteilsbegründung ein – die seine letzte in einem wirklich großen Strafverfahren gewesen sein dürfte. Der 64-jährige Richter am Bremer Landgericht, dessen sachliche Prozessführung während des achtmonatigen Verfahrens mit vier Angeklagten, acht Verteidigern, zwei NebenklagevertreterInnen und zahlreichen Übersetzern immer wieder überzeugte, geht kommendes Jahr in den Ruhestand. Gestern machte er deutlich, dass der Prozess auch für das Gericht eine Herausforderung war.

80 ZeugInnen und 12 Sachverständige waren gehört worden – um Widersprüche in den Aussagen der Angeklagten zu überprüfen und den Tathergang zu erhärten. Nur zwei der Hauptangeklagten hatten Schuld eingeräumt. Die Verteidiger zweier weiterer Angeklagter, darunter die des ehemaligen PKK-Funktionärs, hatten sogar Freispruch beantragt. Ihr Mandant hatte jede Tatbeteiligung abgestritten. Die PKK selbst hatte sich von der Tat distanziert. Tatsächlich schloss auch das Gericht einen Tötungsauftrag aus der PKK-Spitze aus. Dennoch ging es davon aus, dass lokale PKK-Größen sich für die allgemein missbilligte Beziehung des Paares verantwortlich fühlten – zumal ein PKK-Märtyrer nie heiraten dürfe und auch die Familie der Frau dagegen war. Die Verteidiger des PKK-Funktionärs zeigten sich gestern vom Urteil entsetzt, ebenso die des zweiten „Freispruch-Kandidaten“. Dieser hatte geltend gemacht, mit vorgehaltener Pistole zur Tat gezwungen worden zu sein. Das Gericht legte gestern dar, warum es dieser Darstellung nicht glaubte. So habe sich der dritte Haupttäter dem nie angeschlossen – obwohl es auch ihn entlastet hätte. Außerdem sei dann unklar, warum die Opfer nicht erschossen wurden.

Ausführlich begründete das Gericht auch, warum es der Forderung der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt war, die auf Mord plädiert hatte. Zwar sei die Tat „nach deutschen Vorstellungen“ besonders verwerflich. Allerdings müsse nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs der kulturelle Hintergrund der Täter beachtet werden. Dabei sei das Gericht überzeugt, dass diesen nach den Maßstäben und Ehrvorstellungen ihrer Kultur niedrige Beweggründe nicht angelastet werden könnten – obgleich sie mitleids- und skrupellos vorgingen. „Nahe am Handeln aus niedrigen Beweggründen“, so der Richter. Er erläuterte auch, dass für eine Verurteilung wegen Mordes eine besondere Absicht, grausam zu Quälen, bewiesen sein müsse. Das sei nicht gegeben – auch wenn der querschnittsgelähmte Serif Alpsozman vom Auto aus ansehen musste, wie seine Frau hinter den Deich gezerrt wurde. Vielleicht auch, dass sie kurz flüchten konnte – bevor sie im Schlamm erstickt wurde. Auch sei denkbar, dass Alpsozman unter den Schlägen auf den Kopf schnell die Besinnung verlor. Und schließlich könne Heimtücke nur bei arglosen Opfern unterstellt werden. Das Paar aber hatte schon lange Angst. „Ayse war nur mitgekommen, um zu verhindern, dass Serif etwas passiert“, so der Richter. „Ayse, deren Liebe weder für den Vater noch die PKK eine Bedeutung hatte.“ ede

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