piwik no script img

„Wir werden ihnen sagen, wie wir sterben“

Im Prozess um die Zulassung von Generika sind Südafrikas Aids-Aktivisten als Zeugen geladen. Sie fordern erschwingliche Therapien

JOHANNESBURG taz ■ Das Oberste Gericht in Pretoria wird in wenigen Tagen einen Fall entscheiden, der in Südafrika sehr emotional diskutiert wird. Es geht um den Versuch der Regierung, den Kauf und die Herstellung von billigen Medikamenten gegen Aids und andere Krankheiten zu legalisieren und sich damit gegen eine Klage der internationalen Pharmaindustrie durchzusetzen.

39 Herstellerfirmen von Medikamenten waren im März vor Gericht gezogen, um Südafrika zu zwingen, künftig weiterhin ihre teuren patentierten Produkte anzuwenden. Richter Bernhard Ngoepe vertagte das Verfahren nach nur eineinhalb Tagen und gab den streitenden Parteien bis zum 18. April Zeit, sich intensiv auf die zweite Runde vorzubereiten. Die ersten Verhandlungsstunden führten jedoch zu einem Teilerfolg: Südafrikas führende Gruppe von Aids-Aktivisten TAC (Treatment Action Campaign) ist als Sachverständige zugelassen worden. Sie erhalten damit eine Schlüsselrolle. „Wir werden ihnen erzählen, wie Menschen in diesem Land sterben und was Medizin bewirken kann“, sagt Zackie Achmat, Vorsitzender der Organisation.

Erschwingliche Medikamente für Südafrikas arme Bevölkerung – diese Notwendigkeit wurde bereits vor Jahren formuliert. Nelson Mandela unterzeichnete 1997 eine Gesetzesvorlage, die erlauben sollte, an den Multikonzernen vorbei zu handeln. Billigere Importe sollten zugelassen werden sowie die Herstellung preisgünstiger Generika, also nachgeahmter Medikamente mit gleichen Wirkstoffen.

Mit der Aids-Epidemie erhält die Debatte ein zusätzliches moralisches Gewicht. Die vergangene Woche von der Regierung vorgelegten Zahlen sind schockierend: 4,7 Millionen Menschen – jeder Neunte – leben in Südafrika mit dem Virus. Diese „nationale Notlage“ müsste es erlauben, nach dem so genannten Trips-Abkommen zum Schutz des Urheberrechts den Patentschutz zu lockern. Aber das behagt den Pharmamultis nicht. Sie argumentieren, die südafrikanische Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang erhalte mit der neuen Gesetzeslage die Macht, Patentrechte zu ignorieren. Auch sei die Ministerin nie in ernsthafte Verhandlungen getreten, um kostenreduzierte Präparate zu kaufen. So hat Boehriger-Ingelheim das Medikament Nevrapin, das die Übertragung des Virus von Mutter zu Kind reduzieren soll, für fünf Jahre umsonst angeboten.

Die Regierung hingegen argumentiert, egal wie billig die Medikamente seien, könne sie die breite Masse damit nicht versorgen. Sie bevorzugt Angebote wie die des indischen Generika-Herstellers Cipla: 350 US-Dollar pro Jahr und Patient. Seelenruhig unterzeichnete Präsident Thabo Mbeki vergangene Woche bei einem Besuch auf Kuba mit Fidel Castro ein Wissenschafts- und Technologieabkommen, das beinhaltet, zusammen mit Kuba Medikamente zu entwickeln. „Wir unterstützen Südafrika und Brasilien und ermutigen sie, die patentierten Arzneien der US-Firmen zu boykottieren“, sagte Castro.

Die Aids-Aktivisten unterstützen die Regierung, „um ein sinnvolles Gesetz zu schützen“, sagt Achmat. Allerdings habe Südafrikas Regierung viel versäumt. Ein detaillierter Kostenplan, die Umverteilung des Gesundheitsbudgets und bessere Ausbildung von Personal sowie Kliniken seien überfällig. Und Thabo Mbekis im vergangenen Jahr geäußerter Zweifel, ob HIV überhaupt Aids verursacht, hat viele Menschen verunsichert. Während Fachleute und Studenten in diesen Tagen die Zusammenhänge und Auswirkungen der verheerenden Krankheit auf einer internationalen Aidskonferenz an der Witwatersrand-Universität debattieren, legte das von Mbeki beauftragte internationale Wissenschaftlerforum seinen Bericht vor. Rund eine Million Mark ist ausgegeben worden, damit die Mehrheit der Forscher eine bekannte These bestätigen kann: HIV verursacht Aids.

MARTINA SCHWIKOWSKI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen