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Israels Armee marschiert in Gaza ein

Erstmals dringen israelische Bodentruppen in ein palästinensisches Autonomiegebiet vor. Allerdings nicht mit der Absicht einer neuen Besetzung, sagt Israels Regierung und treibt gleichzeitig die Erweiterung illegaler Siedlungen um Jerusalem voran

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Mit Panzern und Bulldozern sind israelische Soldaten in der Nacht zu gestern zum ersten Mal seit Unterzeichnung der Osloer Verträge in palästinensische Autonomiezonen vorgerückt. Bei der über vier Stunden lang andauernden Aktion und Gefechten im Flüchtlingslager von Khan Younis, im südlichen Gaza-Streifen, wurden zwei Menschen getötet und mindestens 25 verletzt. Die Soldaten zerstörten die Stromversorgung und rissen zahlreiche Häuser ein. Die Operation sei eine „Antwort“, so Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar, auf die wiederholten palästinensischen Übergriffe mit Mörsergranaten auf jüdische Siedlungen. Israel habe nicht die Absicht, das palästinensische Gebiet erneut zu besetzen.

Palästinenserpräsident Jassir Arafat wandte sich daraufhin in einem Appell um internationalen Beistand an eine Reihe europäischer Staatschefs. Die Angriffe, die eine klare Verletzung der Osloer Abkommen bedeuten, bestätigen den Palästinenserführer in seiner Forderung nach dem Einsatz internationaler Beobachtertruppen. Die Krise im Nahen Osten bekommt mit der Gebietsverletzung zweifellos eine neue Dimension. Bisherige Grenzen spielen in dem Konflikt, der zunehmend kriegsähnliche Formen annimmt, künftig keine Rolle mehr.

Die Palästinenser machen allein die israelische Führung für die dramatische Eskalation in der Region verantwortlich. In einem gestern veröffentlichten Gespräch mit der palästinensischen Tageszeitung Al Ayam drängte der palästinensische Parlamentspräsident Abu Ala, einer der „Architekten“ der Osloer Prinzipienerklärung, auf eine Beendigung der Gewalt und der Fortsetzung der Verhandlungen. Abu Ala stellte dafür eine Reihe von Bedingungen. So forderte er eine Öffnung der Grenzen sowie eine sofortige Beendigung der israelischen Hinrichtungen im Palästinensergebiet. Die Militärs hatten in den vergangenen Wochen eine Reihe so genannter Rädelsführer systematisch hingerichtet. Israel müsse ferner „sämtliche bislang unterzeichneten Verträge umsetzen“ und die ausstehenden Steuergelder überweisen, so Abu Ala weiter.

Abu Ala lehnte außerdem den geplanten Ausbau jüdischer Siedlungen ab. Das israelische Wohnungs- und Bauministerium sieht für das laufende Jahr die Errichtung von 5.000 neuen Wohneinheiten in den jüdischen Siedlungen, vor allem in der Umgebung von Jerusalem, vor.

Die Baupläne, die scharfe internationale Kritik ausgelöst haben, entsprechen den jüngst von den israelischen Koalitionsparteien vereinbarten Regierungsgrundsätzen. Dennoch birgt das Thema Potenzial für eine Koalitionskrise. Während Außenminister Schimon Peres eine Auflösung isolierter Siedlungen gutheißt, beabsichtigt Premierminister Ariel Scharon „unter keinen Umständen“ – selbst nicht im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens – eine Evakuierung von Siedlern. In einem Interview mit der Tageszeitung Haaretz erklärte Scharon: „Solange es keinen Frieden gibt, bleiben wir sowieso dort.“ Vor einigen Wochen hatte der Regierungschef die Auflösung dreier isolierter Siedlungen im Gaza-Streifen in Aussicht gestellt.

Bei dem israelischen Minister für innere Sicherheit Usi Landau stießen die Vorschläge Abu Alas zur Beendigung der Gewalt und der Wiederaufnahme von Verhandlungen auf strikte Ablehnung. „Den Plan annehmen, bedeutet, Arafats Terror zu belohnen“, meinte Usi Landau im israelischen Hörfunk. Landau lehnt den palästinensischen Vorschlag ab, da er „par excellence politisch ist“. Die Israelis knüpfen indes politische Verhandlungen an ein Ende der Gewalt. Abu Alas Vorschlag sei zudem indiskutabel, da allein die israelische Seite zu Maßnahmen aufgefordert sei.

Beide Seiten einigten sich dennoch auf ein erneutes Treffen ihrer Sicherheitschefs. Die Palästinenser hatten wiederholt ihr Kommen zu den von den USA vermittelten Treffen abgesagt. Mohammad Dahlan, Chef des Nachrichtendienstes im Gaza-Streifen, blieb mit Hinweis auf die Angriffe auf Khan Younis auch gestern den Gesprächen fern.

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