: „Irgendwer schmiss einen Stein“
Militante Neonazis heute wegen schwerer Körperverletzung in Neumünster vor Gericht. Die Szene bleibt offensiv ■ Von Peter Müller und Andreas Speit
Der Versuch der Neumünsteraner Stadtoberen, die politische Konfrontation mit der heimischen Neonaziszene um den Treff „Club 88“ zu vermeiden (taz berichtete mehrfach), wird immer mehr zum Bumerang. Über den vom Verwaltungsgericht Schleswig aus formalen Gründen gestoppten Versuch der Kommunalpolitiker, der Betreiberin Christiane Dolscheid die Konzession für den Treff abzunehmen, polemisiert jetzt einer der führenden Neonazis Schleswig-Holsteins.
In der neuen Ausgabe des Zentralorgan (ZORG), Kampfblatt der „Freien Nationalisten“, zieht der wegen versuchten Totschlags und räuberischer Erpressung mehrfach vorbestrafte Peter Borchert unter dem Titel „National befreite Zonen! Kameraden schafft sie euch“ über die „etablierten Heuchler, Hetzer und Lügner“ her: „Der Club 88 ist eine Prävention gegen Gewalt, so lange es ihn gibt.“
Was damit gemeint ist, zeigt der heutige Prozess gegen die beiden 19-jährigen Jan D. und Michael E. Obwohl die Strafverfolgungsbehörden jahrelang nur zaghaft gegen rechte Gewalttäter vorgegangen sind, stehen die beiden Heranwachsenden aus dem Umfeld des Club 88 nun wegen „schwerer Körperverletzung“ vor dem Neumünsteraner Amtsgericht. Ihnen wird zur Last gelegt, am 12. Dezember vorigen Jahres nachts am Bahnhof der Mittelstadt einen chinesischen Jugendlichen und seinen deutschen Begleiter zusammengeschlagen und schwer verletzt zu haben. Das Verfahren gegen die beiden erwachsenen Mittäter Jörg K. und Patrick T. wegen „gefährlicher Körperverletzung“ läuft separat.
Diese Attacke war keineswegs ein Einzelfall: Erst vor drei Wochen wurde eine junge Aktivistin des „Bündnis gegen Rechts“ in Neumünster im Anschluss an eine Mahnwache vor dem Club überfallen und verletzt.
Dass die Stadt im Umgang mit dem braunen Spuk noch immer ihre eigenen Wege geht, zeigte sich am Wochenende vor Ostern . Nachdem ein Großaufgebot der Polizei im Kieler Rotlicht-Club „Flash“ ein Naziskin-Konzert verhindert hatte, fuhren rund 100 Rechtsextreme zu dem Club im Neumünsteraner Stadtteil Gadeland und konnten dort laut offizieller Version „unter polizeilicher Beobachtung“ ihre Fete nachholen. Einzige Einschränkung: keine Live-Musik.
Dass Gewalt aus der Club-Szene gegen politische Gegner und Ausländer keine neue Erscheinung ist, gibt Borchert, der kürzlich nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, weil er mit einer scharfen Pistole und mehreren Magazinen in einer Disko erwischt worden war, im Zorg-Artikel indirekt zu. So erfreut es ihn, dass ein „Türkensemite“ schon 1997 von einem Clubbesucher den „gebührenden körperlichen Verweis“ erhalten habe. Auch beschönigt er den Psychoterror gegen die grüne Ratsfrau Andrea Storke nach ihrem Eintreten gegen den Treff: „Irgendwer schmiss dann irgendwann einen Stein in irgendein Fenster des Hauses dieser Dame“, so Borchert.
Auch Häme ist Borchert durchaus nicht fremd: „Ein Täter wurde selbstverständlich nie gefunden, und die Vertreter des Club 88 finden es natürlich bedauerlich, wenn irgendjemand so etwas aus irgendwelchen Gründen tat.“
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