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Im Teufelskreis der Eskalation

Schimon Peres’ Rolle im Kabinett des Falken Scharon ist es, die Eskalation im Nahen Osten durch hartnäckige diplomatische Bemühungen zu bremsen

aus Jerusalem ANNE PONGER

Der erste Angriff auf eine syrische Militäreinrichtung seit 1996 beendete eine langwierige innerisraelische Debatte darüber, ob Israel Libanon oder Syrien für Hisbullah-Agressionen gegen Israel verantwortlich machen und bestrafen solle. Die Entscheidung von Sonntag stellt einen dramatischen Kurswechsel dar, der die Syrer seit Jahren erstmals in die militärische Auseinandersetzung hineinziehen könnte.

Syrien beantwortete den Angriff auf seine Radarstation im Libanon, bei der drei syrische Soldaten ums Leben kamen, mit der Drohung, „Ariel Scharons Träume in Albträume zu verwandeln“. Die Arabische Liga verurteilte die „Blutrünstigkeit“ Scharons, und selbst die USA, die Europäer und die Russen gaben sich alarmiert.

Die Kabinettsentscheidung war mehrheitlich, wenn auch nicht unumstritten: Zwei Minister der Arbeitspartei, Schimon Peres und Ephraim Sneh, stimmten dagegen. Während Transportminister Sneh die Beendigung der Palästinenser-Intifada als vorrangiges Ziel versteht, sorgt sich Peres vor allem, dass eine Aufheizung der Nordfront durch Einbeziehung des syrischen Militärs Israels internationale Position schwächen könnte. Peres meinte letztlich wachsendes Verständnis für Israels Haltung gegenüber Libanon, Syrien und Hisbullah zu entdecken.

Als die Arbeitspartei im Februar beschloss, der großen Koalition unter Ariel Scharon beizutreten, und Peres sich bereit erklärte, der rechtslastigen Regierung als Außenminister zu dienen, wurde das als Mission verstanden, die Eskalation im Nahen Osten durch unermüdliche diplomatische Kontakte zu bremsen. Peres versuchte Scharon zu überzeugen, zunächst die politischen Kanäle zu nutzen, um Damaskus und Beirut vor militärischen Reaktionen Israels zu warnen, sollten die Hisbullah-Milizen Israel weiterhin angreifen.

Nach Israels Truppenrückzug aus Südlibanon im Mai 2000 galten Syrien und Libanon als Agressoren an Israels Nordgrenze, und Peres fürchtete die internationale Unterstützung durch Strafaktionen gegen syrische Ziele aufs Spiel zu setzen. Dem Vernehmen nach war selbst Scharon zunächst kein großer Anhänger der Idee gewesen, die Syrer in den Teufelskreis einer Eskalation an der Nordfront hineinzuziehen. Seit seinem Amtsantritt hatte er es vorgezogen, Hisbullah-Angriffe durch Vergeltungsschläge gegen Hisbullah-Stellungen zu beantworten und an die Regierungen in Beirut und Damaskus verbale Warnungen zu senden.

Scharons Sinneswandel, von Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser beeinflusst, kam am Samstag nach einer erneuten Hisbullah-Attacke auf israelische Positionen bei Chebaa: Seit Israels Rückzug aus dem Libanon wurden dort drei Soldaten getötet, fünf verwundet und drei nach Beirut entführt. Die dort von der Hisbullah reklamierte Schaba-Farm gehört nach einer UNO-Entscheidung nicht zu Libanon, sondern zu den israelisch besetzten Golan-Höhen, deren Rückgabe an Syrien Thema von Friedensverhandlungen sein soll.

Libanon hat sich als zu schwach erwiesen, seine Souveränität auf den Süden des Landes auszudehnen und die Hisbullah wirksam zu kontrollieren. Libanons Bereitschaft, der Hisbullah-Miliz als Basis für Angriffe gegen Israel zu dienen, ist zweifellos von Syrien erzwungen. Die Regierung in Damaskus kontrolliert nicht nur die Entscheidungsprozesse in Beirut, sondern lässt im eigenen Land iranische Waffen und Munition an die Hisbullah in Libanon passieren. Damit versuchte Syrien bisher, seine eigene Auseinandersetzung mit Israel am Kochen zu halten, ohne eine direkte militärische Konfrontation mit Israel zu riskieren.

Die Zerstörung der syrischen Radarstation ist als Signal an Damaskus gedacht: Israel werde seine Vergeltungsschläge gegen syrische Ziele im Libanon ausweiten, falls Hisbullah nicht an die Kette gelegt wird. Im Kabinett überstimmt, wird Peres nun diplomatisch alles daransetzen, die UNO und befreundete Staaten einzuschalten. Sie sollen ihren mäßigenden Einfluss auf Syrien und Libanon geltend machen.

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