Schuld und Entschuldigung

Der Mensch braucht nach dem Streit die Versöhnung. Damit wieder Gleichgewicht herrscht. Aber wie geht das eigentlich? Was gehört dazu? Und kann man mit Geld versöhnen?

von ANNETTE ROGALLA

Versöhnung – das Wort spricht sich schlagzeilenleicht. Liz Taylor und Richard Burton, Babs und Boris. Viel Abneigung, Hass, Leidenschaft und ein entkräfteter Irrtum. Und immer mit Happy End. Liz und Rich heirateten viermal. Boris zahlt nach dem Gerichtstermin anstandslos an Babs und trifft sie alle zwei Wochen – in aller Freundschaft. Der Mensch braucht nach dem Streit die Versöhnung, damit wieder Gleichgewicht herrscht und die großen Gefühle sich regenerieren können.

Diejenigen, die sich schwer tun mit der Versöhnung, dürfen sich an Adelheid Schneider aus Berlin wenden. Sie betreibt eine Praxis für Versöhnungshilfe. Vor allem Männer kämen zu ihr, sagt sie. Väter, die sich eines Tages die eigenen Fehler eingestehen und dann sehnsüchig auf die Rückkehr ihrer verlorenen Söhne und Töchter hoffen.

Auf wessen Rückkehr hofft die taz, wenn sie Karl-Heinz Dellwo und Klaus Hülbrock auf ihrem Kongress fragt: Was ist uns Versöhnung wert? Dass der ehemalige Aktivist der Roten-Armee-Fraktion, Dellwo, bereut, dass er sich vor 25 Jahren legitimiert fühlte zum bewaffneten Kampf? Dass sich Hülbrock alias Mescalero entschuldigt für seine Aversion gegen das Establishment?

Versöhnungsberaterin Schneider wertet bereits ein klärendes Gespräch als Erfolg. Hauptsache, die Kontrahenten sehen am Ende ein, dass sie gemeinsam keine Zukunft haben, und ziehen einen klaren Schlussstrich.

So weit, so gut. Dellwo und Hülbrock könnten sich an der gedachten Linie treffen. Schlussstrich. Und dann?

Politiker mögen die schillernde Seite des Wortes: Rezzo Schlauch will die „Versöhnung mit dem Auto“. Angela Merkel rang sich vergangenen Oktober zu einer Versöhnungsgeste durch, Helmut Kohl bekam seine eigene Einheitsfeier. Viel Form, wenig Inhalt. Eine hohles Fest, das mit süßer Begleitmusik Verletzungen und Meinungsunterschiede zukleistern sollte. Versöhnungskitsch eben.

Versöhnung ist mehr wert als bloßer Rechtsfriede. Der Begriff impliziert den gesellschaftlichen Frieden. Mit dem Strafrecht allein ist der nicht zu haben. Das wussten die Bundestagsabgeordneten, als sie das Stasi-Unterlagen-Gesetz verabschiedeten. Zweck des Gesetzes ist es, „die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern“. Auch für die Bundesbeauftragte Marianne Birthler liegt darin eine komplexe Aufgabe; niemand hat den alleinigen Schlüssel zur Aufarbeitung des Spitzelsystems der DDR.

In seinem Buch „Die Schuldfrage“ befasste sich der Philosoph Karl Jaspers 1947 mit dem Begriff der Schuld. Er schrieb diesen Band für alle, die sich als Deutsche schwer taten mit der politischen Verantwortung und der Anerkennung der eigenen Schuld. Jaspers verwendet die Begriffe „Durchhellung“ und „Selbstreinigung“. Sinnvoll sei eine Selbstdurchleuchtung nur dann, wenn sie eine personale Begegnung des Einzelnen mit seinem eigenen Versagen, mit eigener Schuld und Verantwortlicheit, einschließe.

Vier Schuldbegriffe sollen dabei helfen: die kriminelle, die politische, die moralische und die metaphysische Schuld. Über die kriminelle Schuld möge ein Gericht entscheiden. Bei der moralischen Schuld sind das eigene Gewissen und der Dialog mit anderen darüber die Instanz der Beurteilung. Moralische Schuld ist personal. Allein die Person, an der ich mich vergangen habe, ist berechtigt, mir zu vergeben. Wenn ich an Gott glaube und an die ewigen Werte, dann gibt es die metaphyische Schuld. Dafür ist Gott die alleinige Instanz.

Jaspers nennt die politische Schuld als weitere Dimension. Es kann sein, dass wir eine politische Handlung für unmoralisch erklären, ohne dass eine Moraldebatte zu führen oder diese Schuld strafrechtlich zu erörtern wäre. Trotzdem kann ein Mensch schuldig sein, wenn er derjenige ist, der für eine politische Entscheidung steht. Jaspers lehrt: Wer sich zu seiner Schuld bekennt, legt den Grundstein für Versöhnung.

„Visage, Verbrecheralbum“ – wie ein Bumerang flogen die Worte, die Mescalero 1977 für den toten Generalbundesanwalt Buback fand, Jahre später auf Klaus Hülbrock zurück. Diese Worte waren roh und schäbig. „Das tut mir heute weh“, entschuldigte er sich bei Bubacks Sohn. Hülbrock hat seine moralische Schuld eingestanden. Hat er sich deswegen auch schon mit der Gesellschaft versöhnt?

So einfach ist die Sache nicht. In den Siebzigerjahren fühlte er sich von den Häuptlingen der K-Gruppen autoritär ausgegrenzt. Heute sind die Leitfiguren von früher Umweltminister, Außenminister, Europaabgeordneter. Trittin, Fischer, Cohn-Bendit – mit ihnen ist Mescalero nicht fertig. „Ich möchte gerne ein Mittel der politischen Intervention haben, das es gestatten würde, die hermetische Dimension von Öffentlichkeit anzugreifen“, kündigte er in der taz an. Mescalero liebt auch heute die Verteidigung als flotteste Form des Angriffs. Wer Verständnis sucht, muss angreifen. Gehört der Angriff zur Aussöhnung?

Und lässt sich Versöhnung eigentlich kollektiv organisieren, wenn Schuld, wie Jaspers sagt, nicht kollektivierbar ist? Wie viel Versöhnung steckt in dem Entschädigungsfonds für die Zwangsarbeiter? Kann Geld versöhnen? Volker Beck wird beim Kongress mit darüber nachdenken.

Täter, Opfer. Wer war was? Haben die Verhältnisse aus Karl-Heinz Dellwo einen Terroristen gemacht? Seine kriminelle Schuld hat er abgesessen, politische Verantwortung für den Terrorismus weist er nicht von sich. „Damals war die Zeit reif für eine Revolte, nicht aber für eine Revolution. Selbst wenn wir alle Fehler nicht gemacht hätten, wäre uns die Basis weggebrochen“, sagte Dellwo zur taz. Und sein damaliger direkter Gegenspieler, BKA-Chef Horst Herold, sagt heute: „Hätten wir anders gegen die RAF gehandelt, als Baader, Ensslin und Meinhof gefangen waren, hätten wir uns vieles ersparen können.“ Unabhängig voneinander formulieren Dellwo und Herold eine übereinstimmende Sicht auf die Dinge. Ein Wesensmerkmal der Versöhnung.

Welche Versöhnungsbausteine wird der taz-Kongress zusammentragen?

Annette Rogalla, 43, arbeitet in der taz-Inlandsredaktiontaz-Forum: Was ist uns Versöhnung wert?Mit: Volker Beck MdB, Grüne; Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen; Karl-Heinz Dellwo, Ex-RAF-Mitglied;Klaus Hülbrock, Ex-Mescalero. Moderation: Jürgen Gottschlich, taz-TürkeikorrespondentSamstag, 28. April, 15–17 Uhr