piwik no script img

Senilophile Jugend

Den Drang zum Sex mit Sixtysomethings verspüren heutzutage viele Kids

Er vernachlässigte die Schule, fing an, die Altenheime mit seinem Fahrrad abzuklappern

Tommy F. ist 16 Jahre alt. Er mag Fußball, Big Macs und deutschen HipHop – wie alle Jungs in seinem Alter. Und wenn er wie ein Unschuldsengel auf der Couch im elterlichen Wohnzimmer sitzt, schaut er so treuherzig, als könnte er keinen Keks aus Mutters Dose stibitzen. Dabei ist Tommy ein echtes Problemkind: Er mag Sex mit Rentnern. Tommy ist, wie der Sexualwissenschaftler sagt, senilophil veranlagt.

Doch Tommy sieht die Sache ganz selbstbewusst und locker. „Ich fahr einfach voll auf ältere Leute ab, na und?“ Er seufzt verzweifelt. „Irgendetwas ist an ihrer runzligen Haut, das mich absolut verrückt macht. Wenn sie so in ihrem coolen Rentner-Outlook auf der Parkbank sitzen, muss ich sie einfach berühren. Und ehe wir uns versehen, sind wir mitten drin im Vorspiel. Ich kann einfach nichts dagegen tun.“

Tommy ist kein Einzelfall. Den Drang zum Sex mit Sixtysomethings verspüren viele Kids – sie haben die Nase voll vom Jugendlichkeitswahn ihrer Eltern, null Bock auf den sterilen Teenie-Kult der Werbung. Sie suchen die Geborgenheit, wie nur Opas und Omas sie bieten können. „Auf eine Weise haben diese Kinder recht“, meint Prof. Erwin Kleinmann von der Uni-Klinik Wattenscheid. „Seit dem Moment, wo sie aufrecht in ihrem Laufstall stehen können, werden diese Kinder mit sexuellen Reizen überflutet. Filme, Videos, Magazine, immer ist es die gleiche Botschaft: Sex beherrscht die Welt. Wenn dann noch eine freizügige Einstellung ihrer Eltern zum Sex, mit Partnertausch und Gruppensex womöglich, dazukommt, sind diese Kinder bald schon so abgestumpft, dass das gleichaltrige Mädchen im Kindergarten nicht mehr interessiert. Da brauchen sie stärkere Reize, etwas Exotisches. Dies macht ältere Menschen zum natürlichen Ziel ihrer überforderten Libido. Rentner sind dann wie überreife verbotene Früchte für sie.“

Es ist schon eine geraume Zeit her, dass sich Tommys Vorliebe für ältere Mitbürgerinnen zu einem regelrechten Zwang auswuchs. In Cafés, in den Anlagen beim Entenfüttern spürte er seine wehrlosen Opfer auf. Er vernachlässigte die Schule, fing an, die Altenheime mit seinem Fahrrad abzuklappern. Bis sein Vater beim wöchentlichen Hamburger-Essen etwas bemerkte. „Als Tommy seinen Big Mac nicht mal anrühren wollte, begann ich mir ernstlich Sorgen zu machen“, erinnert sich der Vater. „Der arme Junge hatte einfach keinen Appetit, und seine Comics schaute er auch nicht mehr an. Stattdessen interessierte er sich für die Schnittmuster in Burda Moden, die meine Schwiegermutter immer mitbrachte, wenn sie zu Besuch kam.“

Tommy Eltern spürten, dass mit ihrem Liebling etwas nicht in Ordnung war. Und dennoch dauerte es Monate, bis sie ihren Sohn in Behandlung schickten. Diese Monate waren für Tommy die reine Folter. „Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Sex mit rüstigen Rentnern“, sagt Tommy, während er versonnen an seinem Schokoriegel knabbert. „Ich versuchte, an etwas anderes zu denken, aber es half alles nichts. Und wenn ich nicht gerade eine heiße Kiste mit einer Rentnerin laufen hatte, plante ich schon mein nächstes Abenteuer. Ich wusste genau, was ich sagen musste, wenn ich einer älteren Mitbürgerin begegnete. Ich log ihr was vor, dass ich mich verlaufen hätte und nicht mehr nach Hause finden würde. Dann ließ ich mich von ihr nach Hause begleiten. Hatte ich sie erst mal bei uns in der Wohnung, bot ich ihr ein Ferrero-Küsschen an, holte den Eierlikör aus Papas Hausbar und die Chose kam ins Rollen.“

Tommys Welt brach erst zusammen, als seine Mutter an jenem denkwürdigen Septembernachmittag früher als geplant heimkehrte und ihren Sprössling in den Armen einer 84-jährigen Kriegerwitwe fand. Sie brachte die hilflose Frau sofort ins Pflegeheim zurück, strich ihrem Schlingel das Taschengeld und verordnete ihm drei Wochen Hausarrest. „In überraschend kurzer Zeit war Tommy wie verwandelt“, sinniert seine Mutter freudestrahlend. „Er macht wieder brav seine Hausaufgaben und stromerte kaum mehr durch die Parks.“ Während sie ihrem Liebling zärtlich durchs seidenweiche Engelshaar streicht, grinst Tommy spöttisch. Was Mutti nämlich nicht weiß – inzwischen hat er sich die pensionierte Eisenbahnerin vom vierten Stock angelacht. Das Teufelsrad aus Begierde und Leidenschaft dreht sich weiter . . .

RÜDIGER KIND

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen