piwik no script img

Der indiskrete Charme der DDR

Mit Hilfe linker Journalisten habe die Stasi immer wieder Propagandamaterial in der Illustrierten „Stern“ veröffentlicht, behauptet der Historiker Hubertus Knabe. Die Beschuldigten sehen sich als Opfer einer Kampagne des Springer-Verlages

„Hier werden Leute verfrühstückt, mit denen man noch eine Rechnung offen hat“

von RALF GEISSLER

Axel Cäsar Springer empfände Genugtuung. Die Behauptung, er habe mitgeschossen, als Rudi Dutschke starb, sein Verlag sei zu mächtig und müsse zerschlagen werden – all das war für den Pressezaren ohnehin Gewäsch, an dem die DDR-Propaganda Mitschuld trug. Es gibt einen Wissenschaftler, der glaubt ebenfalls an den Einfluss der Propaganda. Der ehemalige Bremer Pressesprecher der Grünen, Hubertus Knabe, will belegen, dass die Anti-Springer-Kampagnen der Achtundsechziger von der DDR-Staatssicherheit (Stasi) angeheizt wurden.

Knabe beschreibt in seinem Buch „Der diskrete Charme der DDR“ das Verhältnis von Stasi, Studentenbewegung und westdeutschen Medien. „Die Stasi bediente sich vor allem linksorientierter Journalisten, die DDR-Material veröffentlichten, ohne es zu hinterfragen“, behauptet Knabe. Ob sein Buch am 21. Mai erscheinen darf, entscheidet heute das Landgericht Hamburg.

Denn die Illustrierte Stern und der Herausgeber der Woche, Manfred Bissinger, sind überhaupt nicht einverstanden mit Auszügen, die Knabe vorab in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt veröffentlichte. Sie haben eine einstweilige Verfügung beantragt. Knabe behauptet, es sei nicht auszuschließen, dass die Stasi bei Bissingers detailliertem Artikel „Die Axel-Springer-Story“ ihre Finger im Spiel hatte.

Der Text erschien im November 1967 im Stern und war laut Knabe entscheidend für den Durchbruch der Anti-Springer-Kampagne. Der Historiker stützt sich auf eine Aussage des Stasi-Mitarbeiters Karl-Georg Egel. Dieser habe die Stasi über einen Anruf informiert, „dass drei Westberliner Studenten mit Bissinger vom Stern und Archivmaterial über A.C. Springer für mich am Kontrollpunkt Friedrichstraße eintreffen würden, um Material auszutauschen“.

„Eine infame Behauptung“, tobt Bissinger, der mehrere Monate an seiner Geschichte recherchiert hat – und die ihm in seiner Redaktion viel Achtung einbrachte. Kurz zuvor war Bissinger noch Leserbriefredakteur. „Ich habe nie mit der Stasi zu tun gehabt“, versichert der Journalist. Tatsächlich kann Knabe nicht beweisen, dass Bissinger zum angeblichen Treffpunkt gegangen ist. Er beruft sich daher auf sein Recht auf Meinungsäußerung.

Bereits vor der Springer-Story startete der Stern eine Kampagne gegen den Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Die DDR hatte Baupläne für ein Konzentrationslager gefunden, die Lübkes Unterschrift trugen. SED-Chef Walter Ulbricht schlachtete das Material aus. Auch der Stern nutzte die Unterlagen. Für Knabe ist der Fall klar: „Die Illustrierte war bereit, propagandistisch aufbereitete Materialien aus der DDR zu verwenden.“

Frank Plümer, Stern-Pressesprecher, findet diese Schlussfolgerung absurd: „Es schwingt die Behauptung mit, das Material sei gefälscht gewesen. Dabei war es echt.“ Noch vor der Veröffentlichung wurde ein Schriftgutachten angefertigt. Mittlerweile belegen auch andere Akten Lübkes Beteiligung an den KZ-Bauplänen.

Knabe hat dennoch Zweifel. „Mit endgültiger Gewissheit lässt sich Lübkes Unterschrift nicht verifizieren“, sagt er: „Man sollte nicht vergessen, dass der Stern mit dem gleichen Verfahren die Echtheit der Hitler-Tagebücher als bewiesen ansah.“

Knabe glaubt, dass sich der Stern von DDR-Propaganda besonders leicht habe verführen lassen. Zum Beweis verweist er auf ein Telefonprotokoll zwischen Altkanzler Helmut Kohl und seinem damaligen Generalsekretär Kurt Biedenkopf, das die Illustrierte im Juni 1975 abdruckte. Der Tenor des Textes: Der amerikanische Geheimdienst habe seinen Verbündeten belauscht. Doch die „Abhör-Affäre“ war in Wirklichkeit keine. Der Mitschnitt stammte keineswegs vom US-Geheimdienst, sondern von der Stasi, die das Material den Journalisten zugespielt hatte.

„Wenn die Nachbardiktatur auf die Propagandatrommel schlägt und man übernimmt das, muss einem doch klar sein, vor wessen Karren man sich da spannen lässt“, schimpft Knabe. Plümer verweist dagegen auf ein Zitat vom Stern-Gründer Henri Nannen. „Wir recherchieren überall. Wenn es sein muss in der Hölle.“ Wichtig sei nur, das Material zu prüfen und zu gewichten. In diesem Sinne habe sich der Stern nichts vorzuwerfen.

Knabe beschäftigt das Thema Stasi in der Bundesrepublik schon seit Jahren. Bereits zwei Bücher sind dazu von ihm erschienen. Der Sohn des Grünen-Mitbegründers Wilhelm Knabe musste erfahren, dass ein Bundestagsabgeordneter der Ökopartei für die Stasi arbeitete. Der Pressesprecher seiner Uni bespitzelte für den Geheimdienst den ausgebürgerten DDR-Dissidenten Rudolf Bahro, und das Originalkonzept von Knabes Doktorarbeit – über die Umweltbewegung in der DDR – legte die Stasi als Belastungsmaterial in ihr Archiv.

Als Knabe Leiter der Evangelischen Akademie in West-Berlin wurde, traf er Mitarbeiter, die für den DDR-Sozialismus schwärmten. Erst später erfuhr er den Grund für die obskuren Meinungen: Sein Vorgänger Peter Heilmann hatte mehr als dreißig Jahre lang für die DDR gespitzelt und dafür 200.000 Mark kassiert.

Knabe lässt schon aus biografischen Gründen das Thema nicht los. Sein Wissen bezieht er zum Teil aus Forschungsliteratur und zum Teil aus Akten der Gauck-Behörde. Dort war Knabe bis Ende November selbst Mitarbeiter und hatte ungehinderten Zugang zu sämtlichen Unterlagen. Deswegen gab es schon einmal einen Rechtsstreit. Bereits zur Leipziger Buchmesse Ende März sollte Knabes Arbeit erscheinen.

Das verhinderte seine einstige Chefin, die Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler. Sie forderte zuvor Einsicht in das Manuskript, da sie fürchtete, dass Knabe aus gesperrten Akten zitiert oder Namen von Stasi-Opfern erwähnt. Für außenstehende Wissenschaftler, die Akteneinsicht wollen, werden Opfermamen geschwärzt, um deren Persönlichkeitsrechte zu schützen.

Vor Gericht einigten sich Birthler und Knabe auf einen Vergleich. Er legte der Gauck-Behörde das Buch vor und sie schickte ihm ihre Beanstandungen. „Sie haben nur neunzehn Kleinigkeiten moniert“, triumphiert Knabe. „Er hat vier Fünftel unsere Einwände akzeptiert“, freut sich Marianne Birthler. Sie glaubt, das Buch sei durch ihre Prüfung präziser und besser geworden. Dennoch würden Knabes Schlussfolgerungen über Manfred Bissinger selbst nicht verfangen. „Bei dieser Quellenlage dem Journalisten Stasi-Kontakte vorzuwerfen, ist sehr gewagt.“

Der Betroffene vermutet denn auch, dass es Knabes Buchverleger nicht um Geschichtsaufarbeitung, sondern um Rache geht. Knabe veröffentlicht bei Propyläen, einer Tochter des einst von Bissinger attackierten Axel-Springer-Verlages. „Prinzipiell ist es gut, dass man die Frage der Stasi-Verstrickung von Westjournalisten diskutiert, sagt Bissinger. „Aber hier geht es doch darum, Leute zu verfrühstücken, mit denen man noch eine Rechnung offen hat.“

Plümer vom Stern glaubt, die neue Springer-Führungsriege versuche, über das Thema ihr Profil zu schärfen. Ziel sei es, den Verlag wieder zum ersten konservativen Medienhaus der Republik zu machen. „Logisch, dass sie mit Vorabdrucken versuchen, die Debatte anzuheizen. So viel Öffentlichkeitsarbeit für ein Buch kriegt man selten.“

Springers Welt am Sonntag zitierte in ihrer vorigen Ausgabe zwei Quellen, die Knabes Thesen stützen sollten. Die Zeugen kamen aus einem Umkreis, auf den laut Knabe auch der Stern sträflich gerne zurückgriff: die Welt am Sonntag zitierte ehemalige Stasi-Offiziere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen