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Das Paradies-Projekt

Vorbei an Zitronenhainen und Ananasbeeten führt der Weg bis unters Dach. In England gibt es ihn, den Garten Eden

aus Cornwall RALF SOTSCHECK

Er würde auch ohne Lohn arbeiten, sagt Graham Philips: „Es ist einfach großartig, bei diesem Projekt mitzumachen. Es ist wie im Paradies.“

Das Projekt heißt Eden. Es sind die größten Gewächshäuser der Welt, die in der Südwestecke von England, in Bodelva in der Grafschaft Cornwall, gebaut worden sind. Philips fährt hier einen Traktor, an den vier lange, offene Waggons angehängt sind. Besucher können sich darin vom Eingangsgebäude zu den Gewächshäusern fahren lassen, wenn sie den zehnminütigen Fußweg dorthin scheuen, der an den Abhängen angelegt worden ist.

„Es ist ein Projekt der Superlative“, sagt Philips. „Allein schon die Anfahrt! Wenn man über den Hügel kommt, blickt man plötzlich auf diese Gewächshäuser im Tal, die aussehen wie riesige Insektenaugen, die aus der Erde quellen.“ Nicholas Grimshaw, der Architekt des futuristischen Eurostar-Bahnhofs Waterloo Station in London, hat den Paradiesgarten entworfen. Er benutzte dafür ein Computerprogramm, das die Sonneneinstrahlung an jedem Punkt des Tals berechnete. Passgenau wurde so jeder Stahlträger für das tropische Gewächshaus konstruiert. Das ist stolze 240 Meter lang, 110 Meter breit und bis zu 55 Meter hoch. An der Nordseite ist es an einen Felsen gebaut. Weil Glas zu schwer für die Stahlträger wäre, benutzte man eine mit Luft gefüllte Spezialfolie, die von einer Firma in Bremen geliefert wurde. Ein Computer misst ständig Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Hallen, er steuert die Dachöffnung und die Warmluftzufuhr über dicke Stahlrohre, die oben vom Felsen in das Gewächshaus hineinragen und wie gigantische Panzer aussehen.

„Es ist ein lebendiges Pflanzentheater“, sagt Tim Smit, der Erfinder des Eden-Projekts. Die Idee dafür ist dem 46-Jährigen vor zehn Jahren bei einem anderen Projekt gekommen. Sein Freund John Nelson hatte im nahe gelegenen Heligan ein Grundstück geerbt. Der Garten war 70 Jahre sich selbst überlassen worden und völlig verwildert. Smit und Nelson machten sich ans Aufräumen, und was als Hobby begann, wurde schnell zum größten Garten-Restaurations-Projekt Europas. Aus der ganzen Umgebung kamen Menschen, die ihre Freizeit in den Garten investierten.

Auf denselben Enthusiasmus der Nation der Gärtner baute Smit auch in Bodelva. Anders als in Heligan benötigte er hier aber viel Geld. 86 Millionen Pfund, umgerechnet 270 Millionen Mark, hat Eden bisher gekostet. Die Gelder kamen vom Europäischen Entwicklungsfonds und privaten Investoren, an Lottogeldern flossen 39 Millionen Pfund. „Wichtiger als alles Geld war aber das Team, das vor zwei Jahren die Arbeit in Bodelva aufnahm“, sagt Smit. „Es waren Leute darunter, die hoch bezahlte Jobs aufgaben und finanzielle Einbußen in Kauf nahmen, weil sie an unser Projekt glaubten und wollten, dass es Erfolg hat.“

Eden kann nicht warten

Ruth Trevenna, die aus einem Nachbardorf stammt, gehörte von Anfang an dazu. Sie ist Mitte vierzig, hat lange, schwarze Haare, die beginnen, grau zu werden. Am Eingang zum tropischen Gewächshaus zieht sie Jacke und Pullover aus, drinnen herrscht eine feuchte Schwüle. Der Weg führt vorbei an Zitronenhainen, Zuckerrohr-, Kaffee- und Teeplantagen, Bananenstauden, Palmenwäldchen und Ananasbeeten, bis man hoch oben unter dem Dach an einem Wasserfall ankommt, der in eine Lagune fließt. 80.000 Pflanzen wachsen im Paradiesgarten, der die Klimazonen der Welt nachbildet. Viele seltene Pflanzen wurden von botanischen Gärten weltweit gestiftet.

„Zu unseren besten Stücken gehört die Coco-de-Mer, die doppelte Kokosnuss“, erzählt Trevenna. „Keine Pflanze der Welt hat einen größeren Samen, er sieht aus wie ein riesiger Hintern. Die Coco-de-Mer wächst in der Wildnis nur auf den Seychellen, sie steht unter Naturschutz. Jede Nuss wird dort registriert und nummeriert. Die Regierung der Seychellen hat uns zwei Stück gestiftet.“ Für den Pflanzenschutz in Eden sorgen Vögel, Insekten und Reptilien.

„Oben im Regenwald lebt ein Rotkehlchen“, erzählt Trevenna weiter. „Es mag das Klima offenbar. Als wir die letzten Folienscheiben einsetzten, haben wir versucht, den Vogel hinauszujagen. Aber sobald er die kalte Luft Cornwalls spürte, machte er kehrt und versteckte sich im Gewächshaus.“ Nach zwei Jahren Bauzeit konnte Eden am 17. März eröffnet werden – zu einem Zeitpunkt, da das Land mit der Maul- und Klauenseuche kämpfte und viele Bauern ihre Höfe nicht verlassen konnten. Das hat Tim Smit Kritik eingebracht. Aber Eden konnte nicht warten, es ist ein Unternehmen, das auf die Eintrittsgelder angewiesen ist. 50.000 Besucher kamen in den ersten zwei Wochen. Das beruhigte die Nerven des Teams. Denn 750.000 Besucher im Jahr sind nötig, damit Eden sich rentiert. Schließlich will man ein Fiasko wie den Millennium Dome in London, das inzwischen gescheiterte Prestigeobjekt, vermeiden. Wirtschaftswissenschaftler der Universität Plymouth schätzen, dass dank Eden 36 Millionen Pfund im Jahr in die regionale Wirtschaft fließen werden – das entspräche 1.800 neuen Jobs. Bereits vor der Eröffnung kam eine halbe Million Menschen zur Baustelle. „Cornwall gehört zu den ärmsten Regionen Großbritanniens“, sagt Ruth Trevenna, „die Grafschaft lebt vom Tourismus. Außerhalb der Saison ist die Arbeitslosigkeit hoch, weil die traditionellen Industrien, der Bergbau und die Fischerei, abgewirtschaftet haben.“

Mehr als hundert Jahre wurde hier in Bodelva Porzellanerde abgebaut, bis die Grube 1998 erschöpft war. Um die Eden-Gewächshäuser zu bauen, mussten 1,8 Millionen Tonnen Erde bewegt werden. „Das hat die Geister der Bergarbeiter wahrscheinlich amüsiert, falls sie vom Himmel aus zugeschaut haben“, sagt Trevenna. „Die Grube, die sie über Jahrzehnte ausgeschachtet haben, wurde nun mühsam wieder aufgefüllt.“ Während der Arbeiten setzte dann auch noch ein Unwetter ein, das mehrere Wochen andauerte: 163 Millionen Liter Wasser flossen in die Grube. Die Ingenieure des Eden-Projekts entwickelten ein ausgeklügeltes Drainagesystem, das seither 22 Liter Wasser pro Sekunde abpumpen kann. „Das Wasser wird aber wieder verwendet“, sagt Trevenna, „für den Wasserfall im Tropenhaus, für die Toiletten und für den künstlichen Fluss.“

„Die Menschen sollen lernen, dass sie die Welt, in der wir leben, positiv beeinflussen können, wenn sie zusammenarbeiten“, sagt Projektleiter Tim Smit. Er erhebt für Eden den Anspruch eines alternativen Bildungsprojekts, mit dessen Hilfe das Umweltbewusstsein geschärft werden soll. In den „Biomen“, den Treibhauswaben, hängen denn auch zahlreiche handgemalte Plakate, die den Alternativcharakter des Projekts verstärken sollen. Sie heben die Bedeutung von Pflanzen als Rohstoff und Lebensspender hervor und mahnen zum sorgsamen Umgang.

„Es ist nur ein Baummuseum“

Eden sei eben kein Disneyland mit Pflanzen, sagt auch Ruth Trevenna. „Wir setzen uns für fairen Handel, gegen Kinderarbeit und für den Erhalt bedrohter Flora ein. Wir wollen unseren Besuchern verdeutlichen, dass sie jeden Tag mit Pflanzen in Berührung kommen. Sei es, wenn sie Tee trinken, Schokolade essen oder einen Lippenstift benutzen.“

Doch gerade Umweltschützer halten wenig vom Eden-Projekt. „Es ist ein Baummuseum“, sagt Karen Westbrook von der Green Party abfällig, „und keine Nachbildung des Ökosystems verschiedener Biosphären. Ich glaube, viele Menschen gehen lieber in einer natürlichen Umgebung spazieren.“ Westbrook glaubt, dass Eden die Umwelt sogar schädigen werde. „Tausende Menschen kommen für einen Tag nach Cornwall und sorgen für Staus und Luftverschmutzung“, sagt sie. „Und diejenigen, die über Nacht bleiben, gehen nicht in die kleinen Familienpensionen, sondern in die großen Hotels.“ Das erste, hoch oben auf dem Hügel über dem Gewächshaus, ist bereits im Bau.

Graham Philips hat für heute die letzte Fuhre zurück zum Eingang gefahren. Zum Abschied sagt er den Besuchern: „Das Eden-Projekt wird nie fertig. Es wird ständig weiterentwickelt. Deshalb müsst ihr immer wiederkommen.“

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