: Autos brennen, Steine fliegen
Erstmals hatte der Berliner Innensenator die Demonstration verboten – für die Straßenkämpfer eine sportliche Herausforderung. Die Bilanz der Polizei: 600 Festnahmen, 166 verletzte Polizisten
BERLIN taz ■ Thomas wusste es schon am frühen Nachmittag. „Wenn es dunkel wird, dann donnert es“, droht der 20-jährige Schlosser einer Gruppe von Polizisten. Es ist der 1. Mai, das Datum, an dem sich linksradikale Demonstranten und extremsportbegeisterte Jugendliche in Berlin-Kreuzberg Straßenkämpfe mit der Polizei liefern – längst mit internationaler Beteiligung. Der 28-jährige Elektriker Juan Sebastian el Cano ist „ehrlich gesagt nur wegen der Krawalle“ aus Madrid eingeflogen, Beamte aus Rheinland-Pfalz kontrollieren die Straßenzüge.
Innensenator Eckart Werthebach (CDU) hat die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ erstmals verboten. Viele hier begreifen die Präsenz von 9.000 Polizisten daher als sportliche Herausforderung. „Wenn jetzt nichts mehr passiert, dann hat Werthebach gewonnen“, sagt die 22-jährige Studentin Verona Nagel am Nachmittag. Eine Demonstration gegen das Demonstrationsverbot, angemeldet von der PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt, war gerade ohne Zwischenfälle zu Ende gegangen. Flaneure und Schaulustige drängen sich auf einer Straßenkreuzung.
Dann werden Einsatzfahrzeuge mit Flaschen beworfen. Die Polizei drängt die Menge in Richtung eines Straßenfestes ab. Demonstranten werfen Steine, die ersten Wasserwerfer kommen zum Einsatz. Plötzlich überrennen die Polizisten das bis dahin friedliche Straßenfest, auf dem sich mehrere tausend Menschen aufhalten. Familien mit kleinen Kindern geraten zwischen die Fronten, Festbesuchern wird das Essen aus der Hand geschlagen, Verkaufsstände werden panisch abgebaut.
Randalierer und wütende Festbesucher, unter ihnen auch Mädchen von kaum fünfzehn Jahren und zehnjährige Jungs, rücken ihrerseits gegen die Polizei vor. Ein Steinhagel prasselt auf die Beamten nieder, die ihr Heil in der Flucht suchen müssen. Klatschend und mit Gebrüll setzen ihre Gegner nach. Krawallmacher schieben einen Anhänger auf die Straße, andere stürzen einen VW Golf um. Wenig später verdunkelt eine Rauchsäule den Himmel, mindestens zwei Kleinwagen brennen aus.
Der Platz ist für nahezu zwei Stunden in der Hand der Randalierer. An fast jedem Hauseingang stehen Menschen, die das Spektakel mit unverhohlener Sympathie beobachten. Auf den Balkonen werden Steinwürfe beklatscht. An vielen Fenstern dröhnt Musik aus den Boxen. Punks laufen auf die Polizei zu, in jeder Hand kiloschwere Wurfgeschosse. Wenig später ist die Gegend um den Platz mit Hunderten von Pflastersteinen übersät. Unter den Füßen knirschen Glassplitter, überall liegen zerbeulte Dosen und Holzlatten, eine Laterne ist umgeknickt.
Am nächsten Morgen gibt die Polizei ihre Bilanz der Kreuzberger Nacht bekannt: 600 Menschen festgenommen, 200 mehr als im Vorjahr; 166 Polizisten verletzt, 113 weniger als im Vorjahr; keine Angaben zu den verletzten Demonstranten. ANDREAS SPANNBAUER
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