„Es spricht nichts gegen Rot-Grün“

Der Vorwahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft am 23. September kommt auf Touren. Als letzte Partei, der Chancen auf Mandate nachgesagt werden, hat jetzt die SPD über Programm und Spitzenkandidat befunden. Zum Abschluss der Interviewserie zur Hamburg-Wahl deshalb heute im taz-Gespräch: Bürgermeister Ortwin Runde, der sozialdemokratische Titelverteidiger.

taz: Herr Runde, was machen Sie am 24. September?

Ortwin Runde: Erstmal lange ausschlafen. Ich gehe davon aus, dass der 23. September ein schöner und auch etwas längerer Abend werden wird. Und dann werde ich in Ruhe das Nachdenken anfangen.

Nachdenken darüber, mit welchen Fraktionen Sie sich zu Koalitionsverhandlungen treffen?

Von der Mehrzahl „Fraktionen“ gehe ich nicht aus.

Ihre grüne Stellvertreterin, Frau Sager, hat bei uns im Interview gesagt: Rot-Grün auf jeden Fall. Gibt es für die SPD eine Alternative?

Wahlkämpfe macht jeder für sich allein. Aber Rot-Grün hat sich in den vier Jahren dieser Legislaturperiode bewährt, und daher spricht nichts gegen eine Fortsetzung.

Ihr CDU-Herausforderer Ole von Beust hat vor Monaten eine Große Koalition strikt abgelehnt, inzwischen sagt er: Man sollte nie „nie“ sagen. Sagen Sie „nie“?

Das regelt schon der Wähler. Nach allen bisherigen Umfragen gehe ich davon aus, dass die Mehrheit für die jetzige Koalition stabil bleiben wird.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie für die SPD?

Da würde ich mich nicht festlegen wollen. Wahlergebnisse kann man fünf Monate vor der Wahl nicht prognostizieren.

Aber ein Wahlziel wird es doch wohl geben.

Wahlziele gibt es immer in Rangfolge. Das erste ist sicher, erneut eine gestalterische Mehrheit zu erringen. Dafür sieht es sehr, sehr gut aus. Das zweite Ziel ist, das Ergebnis der vorigen Wahl zu übertreffen. Dann kann man immer noch einen draufsetzen.

Wir haben mal zusammen gerechnet, was die SpitzenkandidatInnen fünf anderer Parteien in taz-Interviews für sich vorausgesagt haben. Da bleiben für die SPD gerade mal 15 Prozent übrig.

Aber es ist ja schon tröstlich, dass die uns wenigstens die Fünf-Prozent-Hürde zutrauen...

Die CDU will ihren Wahlkampf bewusst personenbezogen führen – von Beust gegen Runde. Fürchten Sie so ein Duell über 15 Runden?

Ich habe gelernt, dass Politik das Bohren dicker Bretter bedeutet. Und so gehe ich das auch an. Ich glaube kaum, dass es zu einem echten Duell Runde – von Beust kommen wird. Dazu sind einfach die Unterschiede zu groß, auch was das Gewicht angeht.

Die CDU stellt von Beust als den weltläufigen, gewandten Kandidaten dar und Sie als Gegenbild, als Astra-Typ. Haben Sie ein Imageproblem?

Ich war als Senator jahrelang Hamburgs oberster Braumeister und bin stolz darauf, die Astra-Brauerei und ihre Arbeitsplätze gerettet zu haben. Mit Astra verbinde ich nichts Negatives.

Von der CDU zu einem anderen Herausforderer: Nehmen Sie Herrn Schill als politischen Gegner ernst?

Schill ist ein schillernder Rechtspopulist, und das muss man vor dem Hintergrund deutscher Geschichte und deutscher Anfälligkeiten immer ernst nehmen. Wenn ich mir seinen Stab ansehe, scheint er auch eine relativ egozentrische Persönlichkeitsstruktur zu haben, die seinen Umgang mit anderen etwas schwierig macht. Früher oder später wird es in seiner Partei viel Unfrieden geben.

Schill behauptet, seine Wähler seien vor allem ehemalige treue Sozialdemokraten. Nimmt man mal an, das stimmt, warum wählen die nicht mehr SPD?

Wir wissen aus den Befragungen, dass etwa 50 Prozent der Schill-Wähler aus dem Bereich der CDU kommen und ein anderer Teil von den Wählern, die zuletzt rechtsradikale Parteien gewählt haben. Es kommen sehr wenige von Grünen und SPD. Herr Schill ist ein Problem des Herrn von Beust und der CDU.

Zur Politik des rot-grünen Senates. Uns scheint, dass das besondere Gewicht auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik lag. Machen Sie die Standortpolitik, die die CDU gerne machen würde?

Ich mache gerne in Hamburg sehr erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber immer mit dem Ziel, Wachstum und Beschäftigung zu stärken. Wenn Sie sich die Arbeitslosenzahlen zu Anfang der Legislaturperiode anschauen im Vergleich zu jetzt, wo wir von 100.000 auf fast 70.000 herunter sind, dann macht das das Ziel meiner Wirtschaftspolitik aus. Die wirtschaftspolitische Konzeption der CDU habe ich leider nie erfahren können.

Die Handelskammer lobt den rot-grünen Senat inzwischen auch. Freut Sie das?

Ich wäre doch ein ganz besonderer Schelm, der gute Taten vollbringt und der dann über ein Lob nachdenklich wird, ob es denn wirklich eine gute und richtige Tat gewesen ist. Die Unterstützung der Handelskammer in manchen Fragen halte ich für gut und richtig. Die Gewerkschaften sind im übrigen in ihrer Bewertung der Arbeit des Senates ja auch ähnlich positiv.

Handelskammer-Präses Schües hat Rot-Grün im Land zuletzt gelobt, für Rot-Grün im Bund gab es dagegen viel Schelte. Was machen Sie besser als der Bundeskanzler?

Wir haben eine absolut verlässliche Politik gemacht. Wir haben am Anfang genau gesagt, wo es langgeht und das eingehalten. Man darf aber nicht verschweigen, dass wir ohne die Änderung auf der Bundesebene seit 1998, ohne die Überwindung des Stillstandes, nicht voran gekommen wären. Hier ist kein Keil zwischen Rot-Grün in Hamburg und Rot-Grün im Bund zu treiben.

Nun kommt dieser vermeintlich erfolgreiche Wirtschaftskurs des Senates ins Rutschen. Beispiel: Der Universal-Umzug nach Berlin. Da wird auf der einen Seite von Hamburg über Berliner Subventionen für das Großunternehmen Universal geklagt, auf der anderen Seite wird hier vor Ort ein anderes Großunternehmen, nämlich Airbus, heftigst subventioniert. Da wird doch mit zweierlei Maß gemessen.

Nein. Bei Universal geht es um Arbeitsplatzverlagerung. Da wird keine Stelle neu geschaffen, sondern womöglich mit Steuermitteln noch Arbeitsplatzvernichtung betrieben. Bezogen auf den A380 ist es etwas ganz anderes. Hier handelt es sich um ein ganz neues Produkt und um Industriepolitik in europäischer Dimension. Wir machen ja keine Subventionierung, sondern schaffen infrastrukturelle Voraussetzungen für dieses Produkt. Dass das teuer ist, gebe ich gerne zu.

Für die Handelskammer steht schon fest, dass eine neue Elbvertiefung kommt. Weiß sie mehr als Sie?

Es gibt eine klare Aussage: Wir können einen Flusshafen nur in begrenztem Umfang vertiefen. Aber es kann erforderlich werden, das Tidefenster des Flusses ein wenig weiter zu öffnen. Diese langfristige Option sich offen zu halten, halte ich für verantwortungsbewusste Politik. Es wäre Hybris, eine solche Option auf Dauer zu verschütten.

Anderes Thema: Sind Sie zufrieden mit der Flüchtlingspolitik, die der Senat macht?

Wir haben in Hamburg in all den Jahren mehr Flüchtlinge aufgenommen als viele, wenn nicht alle Großstädte der Republik. Dass wir diese Menschen nicht alle auf Dauer hier behalten können, ist klar. Diese Stadt hat unendlich viel geleistet für die Bewältigung von Flüchtlingsproblemen. Das ist nicht unbegrenzt möglich. Die Flüchtlingspolitik in Hamburg ist natürlich getragen von unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Koalitionspartner, aber auch hier hat eine sehr klare Koalitionsvereinbarung geholfen.

Wenn Sie schon mit der Flüchtlingspolitik zufrieden sind, sehen Sie irgendwo ein Feld, wo Rot-Grün keine gute Arbeit geleistet hat?

Wer viel entscheidet und viel macht, der macht auch mal Fehler und trifft ab und an Entscheidungen, die nicht optimal sind.

Fällt Ihnen ein Fehler ein?

Immer.

Würden Sie einen nennen?

Das ist in unserer Mediengesellschaft schon etwas anderes. Das kann man höchstens machen, nachdem man ihn korrigiert hat.

Fragt man die CDU, macht der Senat vor allem auf zwei Feldern Fehler: Innere Sicherheit und Verkehr. Herr von Beust macht das zum Zentrum seines Wahlkampfes. Wie reagieren Sie drauf?

Der ÖPNV erhält aus ganz Deutschland herausragende Noten. Wir bekommen die S-Bahn-Anbindung an den Flughafen, die Stadtbahn – auf dem Gebiet sind wir auf keinem schlechten Weg. Und Stauprobleme gibt es in jeder Stadt. Dass momentan ordentlich gebuddelt wird, kann den Tiefbau ja nur freuen, auch wenn das zurzeit auch aus meiner Sicht zu ein bisschen vielen Staus führt.

Und wie sieht es mit der Inneren Sicherheit aus?

Das Thema Innere Sicherheit ist natürlich eins, das in Hamburg großstädtische Ausprägungen hat. Man muss sehen, was sich bei organisierter Kriminalität abspielt, ist heute einen ganzen Zacken härter als das, was wir jahrzehntelang gewohnt waren. Darauf müssen wir uns einstellen und die Polizei ausrichten. Das kriegen wir mit einer sehr klaren Organisierungsstrategie und der entsprechenden technischen Ausstattung hin. Die Polizei leistet gute Arbeit.

Was sind die drei Zukunftsthemen, die die Stadt in den nächsten Jahren beschäftigen?

Das erste Thema ist der Übergang in die Informations- und Wissensgesellschaft. Das wird ein grundlegender Strukturwandel, auf den man die Menschen so einstellen muss, dass alle eine Chance haben. Zweiter Punkt wird sein, ob wir es schaffen, in den nächsten Jahren im Bereich Ausbildung und Arbeitsplätze die Möglichkeiten zu nutzen, die sich uns vor dem Hintergrund der günstigen Konjunktur bieten. Der dritte Bereich wird die Familienpolitik sein, wie es Eltern gelingt, trotz ihrer Kinder einer Berufstätigkeit nachzukommen. Und viertens müssen wir die Internationalität und Offenheit dieser Stadt weiter entwickeln.

Zum Schluss auch für Sie eine Wette: Die SPD wird das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren, nur knapp besser als bei der vorigen Wahl.

Da sind Sie ja gar nicht so pessimistisch. Interview: Peter Ahrens