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Neuer Patentstreit

USA nennt Brasilien protektionistisch, weil es Zwangslizenzierung von Aidsarznei ermöglicht

SÃO PAULO taz ■ Paulo Teixeira, der Leiter des brasilianischen Aidsprogramms, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wenn die US-Handelsbehörde bestimmt, welche Aidspolitik gut und welche schlecht ist, sind wir verloren.“ Für die Regierung von George W. Bush seien die Interessen der Pharmaindustrie wichtiger als die Versorgung der Aidskranken mit billigen Medikamenten, so Teixeira zur taz.

Der Streit zwischen Brasilien und den USA eskalierte letzte Woche, nachdem der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick seinen Jahresbericht über den Schutz geistigen Eigentums in über 80 Ländern vorgelegt hatte. Uganda, Senegal und Thailand werden für ihre Gesundheitspolitik gelobt, nicht jedoch Brasilien, das allen HIV-Infizierten den so genannten Aidscocktail kostenlos zur Verfügung stellt. Im Gegenteil: „Bestimmte Länder“ suchten ihre „protektionistischen Maßnahmen“ mit der Aidskrise zu rechtfertigen, beanstandet Washington.

Stein des Anstoßes ist Artikel 68 des brasilianischen Patentgesetzes, der nach drei Jahren eine „Zwangslizenzierung“ ermöglicht. Beispiel: Sollte Hoffmann-Laroche sein Aidspräparat Viracept nicht billiger verkaufen, könnte Brasilien ein gleichwertiges, aber preiswerteres Generikum produzieren. Ende März senkte der US-Multi Merck so die Preise von zwei Aidsmedikamenten um 59 und 65 Prozent.

Vor der Welthandelsorganisation haben die USA Beschwerde eingereicht. Artikel 68, heißt es, könne auch auf „Autoteile“ oder „Golfschläger“ angewandt werden. Absicht sei es, „Arbeitsplätze für Brasilianer zu schaffen“.

In der Tat geht es nicht nur um billigen Zugang zu Aidsmedikamenten, für den sich auch die UN-Menschenrechtskommission auf Antrag Brasiliens und bei Enthaltung der USA ausgesprochen hat. In der Debatte um die Gestaltung der gesamtamerikanischen Freihandelszone FTAA bleibt Brasiliens Regierung in der Offensive.

Gesundheitsminister José Serra, den vor allem der schulmeisterhafte Ton des Berichts erboste, gab den Vorwurf des Protektionismus zurück. Durch „alle möglichen“ Hindernisse würden Orangensaft und Stahl aus Brasilien vom US-Markt ferngehalten. Brasilien habe seinen Markt geöffnet, seitdem gebe es ein erhebliches Defizit in der bilateralen Handelsbilanz. „Die USA“, so Serra, „sind es nicht gewohnt, dass auch lateinamerikanische Länder ihre Interessen vertreten.“

Auch innenpolitisch taugt das Thema. Präsident Fernando Henrique Cardoso sagte bereits, er werde nicht zögern, den Patentschutz von Medikamenten zu brechen, wenn dies für die Gesundheit „unseres Volkes“ nötig sei. GERHARD DILGER

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