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Kein Wunsch nach Königsmord

Trotz der Begeisterung für Jürgen Möllemann konnte Guido Westerwelle die Delegierten überzeugen, gegen eine FDP-Kanzlerkandidatur zu stimmen

aus Düsseldorf LUKAS WALLRAFF

Danach will es niemand gewesen sein. Also nein, sie hätten bei Möllemann nicht geklatscht, versichern viele FDP-Mitglieder am bunten Abend ihrer Partei in den noblen Düsseldorfer Rheinterrassen. Der Frankfurter Delegierte Christian Zeis betont: „Ich lasse mich doch nicht manipulieren.“ Für ihn wäre ein eigener Kanzlerkandidat von Anfang an „peinlich gewesen“ – vor Möllemanns Rede, während Möllemanns Rede und nach Möllemanns Rede ein paar Stunden zuvor beim Showdown des FDP-Parteitags in der überfüllten Düsseldorfer Stadthalle.

Auch der fröhlich feiernde Ortsverbandsvorsitzende von Overath, Dieter Schmitz, will nie mit dem Gedanken gespielt haben, auf den Kanzlerkandidaten-Kurs umzuschwenken. Jetzt am Abend danach ist er sich wieder ganz sicher, dass Möllemann nie eine echte Chance gehabt hat: „Kippen konnte das nicht.“ Wirklich nicht? „Mir ist schon etwas mulmig geworden“, gibt der 72-jährige Zeis zu, „das war heute eine Atmosphäre wie im Sportpalast.“ Rhythmisches Klatschen, jubelnde Zwischenrufe, Fähnchen schwenkende Delegierte und auf diesen Fähnchen die einzige Botschaft: 18 %.

Warten auf den einen Augenblick

Als der Parteirebell Jürgen W. Möllemann am Samstagnachmittag um 16.15 Uhr ans Rednerpult tritt, entlädt sich die ganze Anspannung, die sich zwei Tage lang aufgestaut hatte. Zwei Tage lang war diskutiert und abgestimmt worden, zwei Tage lang waren wichtige Themen wie Gentechnik, Bildungspolitik und Vereinbarkeit von Familie und Beruf behandelt worden, doch gewartet hatten alle nur auf diesen einen Augenblick: Auf die Strategiedebatte, in der es – auch und vor allem – um das Verhältnis zwischen Chef und Stellvertreter ging. Würde es Parteivize Möllemann gelingen, gegen den erklärten Willen des neu gewählten Parteivorsitzenden Guido Westerwelle einen eigenen FDP-Kanzlerkandidaten durchzusetzen? Das wäre mehr als ein Affront, das wäre ein Königsmord am Tag nach der Krönung.

Die Delegierten wollen keinen Königsmord, aber Möllemann zwingt sie in seinen Bann. Begeistert jubeln sie ihm zu, als er noch einmal seinen Antrag verteidigt, als er Westerwelle indirekt Feigheit vorwirft, als er sagt: „Die Zukunft gehört den Mutigen!“ Mit Höflichkeitsadressen an fast alle Landesverbände und selbstironischen Anspielungen auf eigene Fehler gewinnt Möllemann von Minute zu Minute mehr Sympathien. Auch skeptische Delegierte reißt er mit, weil er der kleinen Oppositionspartei einhämmert, was sie am dringendsten braucht: neues Selbstbewusstsein und grenzenlose Zuversicht.

Am Schluss erntet er Standing Ovations. Auch Guido Westerwelle steht auf, schüttelt Möllemann jovial die Hand und macht gute Miene zum bösen Spiel seines Widersachers. Aber er weiß: Jetzt muss er reagieren, jetzt kann er sich nicht mehr zurückhalten. Der neue Parteichef Westerwelle wird trotz seiner 89 Prozent am Vortag erst dann wirklich gewählt sein, wenn er Möllemanns Herausforderung annimmt.

Das wissen auch seine Mitstreiter auf dem Podium. Selbst der sonst meist gutgelaunten Generalsekretärin Cornelia Pieper ist die Anspannung anzusehen. Nach dem viel beachteten Versprecher in ihrer Antrittsrede („Grün raus, Rot rein!“) hatte sie souverän reagiert und gelacht. Nun wirkt sie nervös. Wer hätte auch mit einem derartigen Sturm der Begeisterung für Möllemann nach dessen mageren 66 Prozent bei der Vizewahl noch gerechnet?

Ein paar Minuten hat Guido Westerwelle Zeit zu überlegen, wie er die Stimmung im Saal zu seinen Gunsten herumreißen kann. Erst einmal spricht die hessische Landesvorsitzende Ruth Wagner, die das ganze Projekt 18 nicht will. Sie macht alles falsch, was man nur falsch machen kann. Irritiert von lauten Buhrufen und Pfiffen, klagt Wagner darüber, „als Ketzer verdammt“ zu werden. Als sie sagt, sie fühle sich „nicht in einer Partei, sondern in einer Sekte“, weil alle nur noch „gläubig an Missionare glauben“, werden die Buhrufe immer lauter. Am Ende sagt Wagner: „Der Kanzlerkandidat wäre nur ein zweites Elefäntchen, das wir nicht brauchen, der Elefant heißt Westerwelle!“ Eine Minderheit applaudiert. Müde.

Westerwelle steht vor dem vielleicht schwierigsten Moment in seiner Karriere. Der 39-Jährige muss beweisen, wer der Herr im Ring ist. Also richtet er sich auf, flößt sich mit einem kurzen, aber bestimmten Nicken selbst nochmal Mut ein und schreitet bedeutungsvoll zum Mikrofon. Dann sagt er das, was er jetzt sagen muss: „Sie sollen vor dieser Debatte glasklar erfahren, wofür ich stehe!“ Was folgt, ist ein rhetorisches Meisterstück. Er drischt nicht auf Möllemann ein. Im Gegenteil: Westerwelle unterstützt denselben Antrag – mit der Festlegung auf das Wahlziel 18 Prozent und dem Verzicht auf eine Koalitionsaussage. Westerwelle lobt den Kontrahenten: Es sei Möllemanns „großartiges Verdienst“, diese Strategie erfunden und die Partei „beflügelt“ zu haben. Nur einen kleinen Punkt, den möchte er gern ändern lassen: Statt eines Kanzlerkandidaten soll es nur einen „Spitzenkandidaten“ geben. Wer immer noch nicht begriffen hat, dass diese Vorsilbe über Wohl und Wehe des neuen Parteichefs entscheidet, macht er klar: „Ich verstehe dieses Amt nicht als Repräsentationsonkel, ich möchte diese Partei führen.“

Als Angsthase will er wahrlich nicht gelten: 18 Prozent? Kein Problem! „Liebe Parteifreunde, Sie trauen sich das zu, ich sage Ihnen, ich auch!“ Westerwelle nimmt den Faden auf, den Möllemann gelegt hat. Geschickt stärkt auch er das Wir-Gefühl der Liberalen – ironischerweise zitiert er dabei fast wörtlich einen Satz aus der Umsturzrede von Oskar Lafontaine auf dem SPD-Parteitag von 1995: „Eine Partei, die selbst nicht begeistert ist, wird niemanden begeistern!“

„Es war eine Vernunftentscheidung“

Keine Frage, zumindest die Partei ist begeistert. Der Chef hat Stärke bewiesen, ohne zu spalten. Die „Strategiedebatte“ ist zu Ende, bevor sie begonnen hat. 48 Delegierte hatten sich zu Wort gemeldet, doch das Plenum hat genug gehört und lehnt eine Aussprache ab. Damit sich aber auch ja keiner unter Druck gesetzt fühlt, wird über die Frage der Kanzlerkandidatur geheim abgestimmt: 469 Delegierte folgen Westerwelle, nur 173 halten Möllemann die Treue. Auch nach diesem Ergebnis verzichtet der Chef auf ein Zeichen des Triumphs, und Möllemann gibt sich als fairer Verlierer. „Es war eine Vernunftentscheidung“, sagt der Frankfurter Christian Zeis am Abend, bei ihm ist vor allem ein logisches Argument aus Westerwelles Rede hängen geblieben: „Auch wenn man 18 Prozent kriegt, kann man doch nicht den Kanzler stellen!“

Aber ob das wirklich entscheidend war? Für den Kollegen aus Overath ist die liberale Welt jedenfalls in bester Ordnung, der ganze Streit vergessen: „So einen schönen Parteitag, mit so einer Aufbruchstimmung, so einem Optimismus habe ich noch nie erlebt!“ Die Abschlussrede Westerwelles am Sonntag ist nur noch Formsache. Statt um Personalfragen soll es bei der FDP künftig um Inhalte gehen, kündigt er an. Schon am Freitag hatte er gesagt, die Bildungspolitik müsse „auf Platz eins der deutschen Tagesordnung“. Da wird auch der ehemalige Bildungsminister Möllemann nichts dagegen einzuwenden haben.

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