: Rückkehr ins alte jüdische Zentrum
In Berlin wird heute die neue israelische Botschaft eingeweiht. Der Umzug wird als Beginn einer neuen Epoche der Beziehungen Israels zu Deutschland gefeiert. Doch der elegante Neubau muss aus Sicherheitsgründen hinter einer Mauer versteckt werden
von PHILIPP GESSLER
Eigentlich wollten Ada und Samuel Willenberg mit diesem Land mitten in Europa nichts mehr zu tun haben: Deutsche hatten nach ihrer beider Leben getrachtet. Ada, geboren vor 73 Jahren in Warschau, gehört wie ihr Mann zu den Holocaust-Überlebenden. Auf einem Bauernhof in der Nähe von Dresden musste sie Zwangsarbeit leisten. Samuel, 77 Jahre alt, überlebte im Krieg elf Monate im Vernichtungslager Treblinka. Er war an einer Rebellion von Häftlingen gegen die Lagerleitung beteiligt. Nach dem Krieg wurden sie israelische Staatsbürger, deutschen Boden wollten sie nie mehr betreten. Doch vor 41 Jahren wurde ihre Tochter Orit geboren. Und deshalb sind sie gestern trotzdem nach Deutschland geflogen.
Das liegt an der neuen israelischen Botschaft in Berlin, die heute feierlich eingeweiht wird: Orit Willenberg-Giladi hat sie entworfen – ein Bau, der geradezu hymnische Reaktionen hervorrief: Schon vor mehr als zwei Jahren, vor der Fertigstellung, nannte sie der damalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, „die schönste Botschaft Israels in der Welt“. Und es dürfen Wetten angenommen werden, dass entweder der neue Botschafter Schimon Stein, Israels Außenminister, Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, oder einer der Gäste der Eröffnung wie etwa der deutsche Außenminister Joschka Fischer diese Sentenz heute wieder aufnehmen werden.
Tatsächlich besticht der 35 Millionen Mark teuere Botschaftsbau im beschaulichen Berliner Villenviertel Schmargendorf durch Kühnheit und Eleganz. Er besteht aus zwei Teilen mit einer Nutzfläche von 4.000 Quadratmetern: einer Villa aus den Zwanzigerjahren, die ein jüdischer Kommerzienrat erbauen ließ und heute als Residenz des Botschafters dienen soll, spektakulärer ist jedoch der vierstöckige, lang gestreckte Neubau daneben, in dem die Verwaltung angesiedelt sein soll.
Das Gebäude hat die Architektin Willenberg-Giladi als einen mit Glas verkleideten Riegel gestaltet, der von sechs säulenartigen Steinquadern durchbrochen wird. Sie zitieren die alte Villa, deren Fassade aus dem gleichen Muschelkalk gestaltet ist. Den Neubau durchteilt zudem eine Mauer aus ockergelbem Stein aus der Gegend von Jerusalem, „Jerusalem marble“ genannt. Das geschwungene Kupferdach nimmt ebenso wie die Muschelkalk-Quader Anleihen beim Altbau daneben.
Ein schönes, modernes Ensemble also, das sich keinesfalls störend in die Wohngegend in der Nähe des Grunewalds einfügt – und doch gab es Proteste von Nachbarn. Manche fürchteten sich vor möglichen Attentaten auf die Botschaft, der auch völlig Unbeteiligte zum Opfer fallen könnten, andere bloß einen Verlust an Parkplätzen.
Hauptargument der Botschaftsgegner aber war, dass sich der Bau in einem „allgemeinen Wohngebiet“ befinde, in dem Verwaltungsbauten wie diese rein rechtlich nicht zulässig seien. Mit dieser Begründung reichten die Botschaftsgegner sogar beim Verwaltungsgericht Berlin eine Klage gegen den Bezirk Wilmersdorf ein, der den Bau gleichwohl mit Verweis auf das „Wohl der Allgemeinheit“ genehmigt hatte. Vor knapp zwei Jahren gab das Verwaltungsgericht dem Bezirksamt Recht: Das Baurecht „stelle nicht die geeignete Rechtsmaterie für die Berücksichtigung der geltend gemachten Sicherheitsbedürfnisse“ dar – und baurechtlich sei nichts zu beanstanden.
So konnten im Juni 1999 die Bauarbeiten begannen. Im August, als die Botschaft ihren bunkerartigen Bau in Bonn verließ und an die Spree wechselte, feierte Botschafter Primor dies als historischen Schritt: Obwohl Berlin die Hauptstadt des sogenannten Dritten Reiches gewesen sei, sehe er die Stadt eher als ein einstmals wichtiges jüdisches Zentrum. In der Kaiserzeit habe das Berliner Judentum die ganze Welt beeinflusst. Mit dem Umzug breche eine neue Epoche der deutsch-israelischen Beziehungen an.
Vorübergehend aber mussten die israelischen Diplomaten vom Rhein in dem Gebäude des Generalkonsulats unterkommen. Das gehörte einige Monate zu den bekanntesten ausländischen Vertretungen der Hauptstadt, da sich in und vor ihm am Aschermittwoch 1999 eine Tragödie abgespielt hatte: Berliner Kurden hatten an diesem 17. Februar in den Medien die Meldung gehört, wonach ihr PKK-Führer Abdullah Öcalan vom türkischen Geheimdienst gekidnappt worden sei und auch der israelische Mossad seine Hände im Spiel gehabt haben soll. Daraufhin stürmte eine aufgebrachte Menge von PKK-Anhängern das israelische Generalkonsulat. Wie spätere Prozesse gegen die Kurden ergaben, eröffneten zwei israelische Sicherheitsmänner in und unmittelbar vor dem Generalkonsulat das Feuer: Eine Kurdin und drei Kurden wurden tödlich verletzt.
Trotz dieses Debakels versicherte Botschafter Primor später, anders als beim daraufhin festungsartig zusätzlich gesicherten Generalkonsulat sollten die Sicherheitsanlagen des Neubaus von außen nicht sichtbar sein. Auch die Architektin ließ sich bei ihrer Planung von dem Prinzip leiten, „soweit möglich, hohe Mauern und Abgrenzungen um das Botschaftsgebäude herum zu vermeiden“.
Leider ist das nicht gelungen. Die Mauer um die Botschaft ist massiv, nur gelegentlich erlauben Sicherheitsglasscheiben einen Blick auf das architektonische Meisterstück – und wer vor der Botschaft kurz stehen bleibt, um den Bau zu bewundern, wird sehr schnell von Polizisten angesprochen, die wissen wollen, was man denn hier mache.
Orit Willenberg-Giladi hofft, dass die Mauer um die Botschaft gleichwohl zumindest „ein wenig transparent“ wirke. Ihre Eltern jedenfalls seien sehr stolz auf sie. Wenn sie nun wegen der Botschaftseinweihung nach Berlin kämen, sei das für sie, als ob sich „ein Kreis schließt“. Und vielleicht erleben Ada und Samuel ja auch noch den Tag, an dem es um eine israelische Botschaft in Deutschland keine Mauer mehr geben muss.
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