: Dem Staat eins auf die Lauscher
Bundesverfassungsgericht rüffelt die polizeiliche Hamburger Abhörpraxis, ohne aber die juristische Notbremse zu ziehen ■ Von Kai von Appen
Das Bundesverfassungsgericht hat gestern in einem Beschluss die Hamburger Polizei vor Voreingenommenheit bei Abhör- und Lauschaktionen gewarnt. Das „Hamburgische Gesetz über die Datenerhebung bei der Hamburger Polizei“ lege diesen Verdacht nahe. Zugleich nahm es eine Verfassungsklage aber formell nicht zur Entscheidung an, da die Kläger nicht dargelegt hätten, „selbst, gegenwärtig und unmittelbar von den angegriffenen Normen betroffen zu sein.“
Diese Verfassungsbeschwerde hatten vor zehn Jahren der Rechtsanwalt Gerhard Strate, der Polizist und GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Manfred Mahr sowie der Pastor Christian Arndt gegen das Gesetz eingelegt. Dieses war 1991 trotz des Protestes von Datenschützern und Anwaltsverbänden in Kraft getreten. Es erlaubt der Polizei seither bei speziellen Gefahrenlagen auch Lausch- und Abhöraktionen sowie verdeckte Ermittlungen bei so genannten „Kontakt- und Begleitpersonen“ von mutmaßlichen Straftätern – in Eilfällen nur mit Billigung des Polizeipräsidenten – „wenn eine Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre“. Naheliegend, dass gerade „Berufsgeheimnisträger“ wie Verteidiger, Seelsorger oder Reporter als potienzielle „Kontaktpersonen“ trotz ihres Zeugnisverweigerungsrechtes ins Visier der Fahnder geraten.
Die Richter stellen nun klar, dass die Rechtsordung grundsätzlich Vertrauen in einen Rechtsanwalt setzt: „Die Polizei hat bei der Auslegung und Anwendung der Normen zur Datenerhebung diesen besonderen rechtlichen Schutz zu respektieren“, so die Richter. Dies hindere die Überwachungsbehörden daran, automatisch davon auszugehen, dass ein Anwalt in kriminelle Machenschaften von Mandanten – im Juristendeutsch: „Kollusion“ – verstrickt sei.
Wenn es doch zu Lauschangriffen gekommen ist, seien die Betroffenen anschließend „zwingend durch die Ermittlungsbehörden zu informieren“. Das verlange das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, „damit sich der Betroffene gegen die Verletzung dieses Grundrechts wehren kann“.
Die Reaktionen sind geteilt: „Dieses Urteil ist nicht sehr praxisnah“, kritisiert Strate. „Für mich ist es kein Erfolg, wenn das Gericht nach zehn Jahren feststellt, dass es bei Anwälten keinen Verdacht der Kollusion gibt.“ Innenbehördensprecher Christoph Holstein gibt sich bedeckt: „Wir prüfen, wie relevant das Urteil ist.“
Hingegen zeigt sich Hamburgs oberster Datenschützer Hans-Hermann Schrader zufrieden: „Ich begrüße die Aussage an den zentralen Punkten sehr.“ Obwohl auch er sich eher eine klare Entscheidung gewünscht hätte. Denn inzwischen wurde viel Legales abgehört: „Es ist denkunmöglich, das zu erschließen.“
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