Die falsche Fährte der Fahnder

Jahrelang wurde Andrea Klump als wichtiges Mitglied der Roten Armee Fraktion gejagt. Das war eine falsche Spur, wird der Richter heute zugeben. Die Bundesanwaltschaft ist zwar blamiert, aber Klump muss mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen

von WOLFGANG GAST

Wenn heute in Stuttgart das Urteil gegen Andrea Klump gefällt wird, wird es unabhängig vom verhängten Strafmaß ein ziemliches Fiasko für die deutschen Strafverfolger sein.

Jahrelang ließ die Karlsruher Bundesanwaltschaft nach der 43-Jährigen fahnden. Sie galt als eine der Topterroristinnen der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), die Fahndungsplakate warnten: „Vorsicht, Schusswaffengebrauch.“ Alles falsch, wird das Oberlandesgericht nun feststellen müssen, und Oberstaatsanwalt Horst-Rüdiger Salzmann wird es mit Fassung tragen, er musste bereits im Verlauf der Beweisaufnahme den Vorwurf der Mitgliedschaft Klumps in der RAF fallen lassen. Zehn Jahre Freiheitsstrafe hat er in seinem Plädoyer am vergangenen Montag wegen der Beteiligung Klumps an einem gescheiterten Sprengstoffanschlag im spanischen Rota gefordert – für versuchten Mord, räuberische Erpressung und Geiselnahme.

Den geplanten Anschlag auf den spanischen US-Militärstützpunkt am 17. Juni 1998 hat Klump gestanden. Anders als von der Bundesanwaltschaft behauptet, sagte sie aber aus: „Es handelte sich nicht um eine Sache der RAF.“ Ihre Beteiligung sei „die Flucht vor meiner damaligen Lebenssituation“ unter den Palästinensern im Libanon gewesen. Andrea Klump war 1984 wie einige andere aus der Unterstützerszene der RAF aus Furcht vor Inhaftierung in Deutschland untergetaucht. Nach einem Anschlag im Sommer 1985 auf einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Frankfurt am Main und der Erschießung des US-Soldaten Pimental wurde ein Foto von ihr als mutmaßlicher Täterin veröffentlicht. „Zu diesem Zeitpunkt war mir endgültig klar“, sagte sie vor Gericht, „dass eine Rückkehr für mich nicht mehr möglich war, wenn ich keine Verhaftung und längere Haft riskieren wollte.“

Deutschland verließ sie im Frühjahr 1986 in Richtung Norwegen, über Umwege traf Klump 1987 mit vier weiteren früheren RAF-Unterstützern in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon ein. Das Leben im Flüchtlingslager war hart. „Im Grunde war es ein Leben in einer Welt ohne Hoffnung auf wirkliche Veränderung“, erklärte sie in ihrer Aussage vor Gericht.

Es war „ein Leben in einer Welt, in der das Denken und Fühlen von Freund-Feind-Kategorien beherrscht wird. Ich lebte in einer Situation, in der ich mich sehr unwohl fühlte, und die ich als trostlos empfand.“ In dieser Situation sei sie angesprochen worden, „ob ich bereit sei, mich im Rahmen des palästinensischen Widerstandes an einer Mission gegen eine amerikanische militärische Einrichtung zu beteiligen. Für diesen Zweck sollte ich nach Spanien gehen“. Andrea Klump beteiligte sich, gemeinsam mit Horst Meyer, der ebenfalls Deutschland verlassen und den sie in Damaskus kennen gelernt hatte. In Spanien trafen sie einen weiteren Mann, „den Verantwortlichen vor Ort“, über den Andrea Klump vor Gericht keine weiteren Angaben machen wollte.

Der geplante Anschlag im spanischen Rota misslang, als bei der Montage des aus 13,5 Kilogramm bestehenden Sprengsatzes an einem Mofa eine Zündvorrichtung vorzeitig explodierte. An die folgende Schießerei mit der spanischen Polizei kann sich Klump nach eigenen Angaben nur noch bruchstückhaft erinnern. Das Trio konnte entkommen, mit Waffengewalt zwangen sie englische Touristen, sie nach Sevilla zu fahren. Dort verlor sich die Spur.

In Deutschland wurde unterdessen nach Andrea Klump gefahndet. Als „Todeslockvogel der Terroristen“, weil sie angeblich dem US-Soldaten Pimental einen Hinterhalt bereitet hatte. Dafür gab es nie handfeste Hinweise, und nicht zu belegen war auch, was ein psychisch Kranker behauptet hatte: dass Klump 1989 zu den Mördern des Deutsche-Bank-Vorstandssprechers Alfred Herrhausen gehörte.

Dieser Vorwurf stand seit Januar 1992 in einem internationalen Haftbefehl. Wo sich Andrea Klump und ihr Lebensgefährte Horst Ludwig Meyer aufhielten, war nicht bekannt. Sicher scheint nur, dass sie ab Oktober 1995 bei einem ahnungslosen Jurastudenten in Wien unterkamen. Im Juli 1999 fielen beide auf, weil sie sich häufiger an einer Straßenkreuzung im Wiener Bezirk Donaustadt herumtrieben.Offenbar kundschafteten Meyer und Klump ein Objekt aus – in der Nähe liegen mehrere Banken und ein Wettbüro.

Einige Wochen später wurde die Polizei alarmiert. Es kam zu einem Schusswechsel: Meyer wurde getötet, ein Beamter verletzt, Andrea Klump verhaftet. Noch im Herbst des Jahres hatten beide nach Klumps Angaben nach Deutschland zurückkehren wollen – Klump hatte überlegt, sich freiwillig den Behörden zu stellen.