: Der Riss geht quer durch die Partei
Die Haltung zur Gentechnik spaltet die SPD. In Kabinett und Fraktion ist die Meinungsbildung noch lange nicht zu Ende
BERLIN taz ■ Vor allem in die SPD hinein könnte die gentechnikkritische Rede von Johannes Rau stark ausstrahlen. Familienministerin Christine Bergmann, die einzige anwesende SPD-Politikerin von Rang, sprach anschließend von einer „sehr bemerkenswerten Rede“ des Bundespräsidenten. Auch wenn sie sich öffentlich noch nicht festlegt, kann man davon ausgehen, dass sie mit Raus kategorischer Ablehnung von Präimplantaionsdiagnostik (PID) und verbrauchender Forschung an Embryonen sympathisiert.
Das Thema müsse in Ruhe diskutiert werden, so seit Dezember die Devise des Kanzlers. Gleichzeitig aber forderte Gerhard Schröder die Abkehr von „ideologischen Scheuklappen“ – und kommunizierte damit seine grundsätzliche Bereitschaft, dem Drängen der Forscher nachzugeben. Vor zwei Wochen eskalierte schließlich der Streit im SPD-Präsidium. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn will die Embryonenexperimente, „wenn es einen breiten Konsens gibt“. Auch PID will sie unter Auflagen erlauben, darin ist sie sich mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt einig. Die Justizministerin hält dagegen. Hertha Däubler-Gmelin hält PID für „Selektion pur“ und erklärte, dass beides „nach unveränderlichem Recht“ unzulässig sei. Dies ist zwar eine sehr enge Interpretation der Verfassungsrichter, aber mit Gewicht: Schließlich muss jeder Gesetzentwurf von Däubler-Gmelin geprüft werden.
Das Problem wird noch verschärft durch die Disziplinlosigkeit der Genossen. Saarlands SPD-Fraktionschef Heiko Maas machte diese Woche den zweiten Schritt vor dem ersten. Er unterstütze auch das therapeutische Klonen nach britischem Vorbild, schrieb er in einem Brief an die Justizministerin.
In der Zwischenzeit wird auch der Kanzler immer konkreter. Ausgerechnet auf dem Deutschen Sparkassentag in München klärte er das Publikum darüber auf, dass der Schutz der Embryonen zwar „in der Tat“ sehr wichtig sei. Die Würde des Menschen liege aber „zu allererst“ im „Zugang zur Erwerbsarbeit“. Besonders stolz zeigte sich Schröder, dass Deutschland in der Biotechnik Großbritannien hinter sich gelassen hat. Eben das Land, wo Embryonenforschung und therapeutisches Klonen ausdrücklich gestattet wurden.
„Man kann auch anders Jobs schaffen“, sagt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg verärgert, SPD-Obmann in der zuständigen Enquetekommission. Der Kanzler unterstütze zu sehr die Forschungsseite – „und die Forscher versuchen zu kriegen, was geht“.
Noch sind PID und embryonale Stammzellen in der SPD Spezialistenthemen. Umso stärker wird der Einfluss von Raus Rede sein. Der Bundespräsident gibt erstmals eine klare Argumentationslinie vor, die auch für den normalen Abgeordneten nachvollziehbar ist. Und er wird zum direkten Gegenspieler des Kanzlers. Praktisch laufen Raus Ausführungen dabei auf das Dammbruchargument hinaus. Wenn wir dies zuließen, erklärt Rau, würde der perfekte Mensch zum Maßstab. Dann würde „Auslese und schrankenlose Konkurrenz“ zum obersten Lebensprinzip.
Nach dieser klaren Positionierung ist unklar, wie lange die SPD es sich noch leisten kann, zu diskutieren. Schon jetzt gibt es einen Streit darüber, wer am 31. Mai im Bundestag zum Thema reden darf. Auch der Abgeordnete Gerhard Schröder erwägt zu sprechen. Dann dürfte man weitere Festlegungen zu erwarten haben. Deshalb will die SPD-Fraktionsspitze ihn gern davon abhalten. Dort ist man noch mitten in der Meinungsbildung. Auf einem Informationsabend am Mittwoch waren sich die 70 anwesenden Abgeordneten nur in einem Punkt einig: Sie wollen sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. MATTHIAS URBACH
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