: Die Leute kaufen zu wenig
Die Theoretiker der New Economy hielten eine Rezession in den USA nicht mehr für möglich. Doch nun kommt sie zurück. Eine Beschleunigung der US-Wirtschaft erscheint unwahrscheinlich
von HANNES KOCH
Die Internetseite „fuckedcompany.com“ bringt Hiobsbotschaften im Stundentakt. Entnervte und desillusionierte Angestellte von Internet- und Computerfirmen aus den USA machen die neuesten Anzeichen der Depression bekannt. „Gerücht: Intel will 5.000 Beschäftigte entlassen“ – so geht es Schlag auf Schlag. Oft genug werden die Meldungen später von den Firmen bestätigt.
Darüber, was die schlechten Nachrichten aus dem Boomsektor bedeuten, ist neuerdings eine heftige Debatte im Gange – nicht nur unter Ökonomen. Steuern wir nach dem großen Aktiencrash des vergangenen Jahres in einen wirtschaftlichen Abschwung, oder hat die Rezession etwa schon eingesetzt? Wenn ja, wie lange wird sie dauern? Nach augenblicklich noch vorherrschender Meinung soll es ab Herbst 2001 wieder aufwärts gehen, worauf Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Hoffnung gründet, die Zahl der Arbeitslosen doch noch unter 3,5 Millionen drücken zu können.
Derartiger Optimismus stützt sich nicht zuletzt auf ein Märchen, das die Spekulationswelle in den vergangenen Jahren so richtig ins Rollen brachte. Die Theoretiker der New Economy halten den Konjunkturzyklus für quasi abgeschafft. Dank den neuen Technologien würden Wirtschaftswachstum und Arbeitsproduktivität stärker steigen als früher. Wirtschaftskrisen würden deshalb kaum noch vorkommen.
Auch der US-Wirtschaftswissenschaftler Michael Mandel schrieb einst farbenfrohe Artikel über die Neue Ökonomie des Internets. Heute gehört der frühere Prophet zu den größten Skeptikern. „Die Rezession ist schon da“, so Mandel. In Deutschland mehren sich die warnenden Stimmen ebenfalls. So spricht Klaus-Jürgen Gern, Forscher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, mittlerweile von einer „leichten Rezession in den USA“.
Diejenigen, die das böse R-Wort in den Mund nehmen, brechen mit der herkömmlichen Definition. Danach ist der Abschwung erst dann eingetreten, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sechs Monate lang im Durchschnitt sinkt. Unter anderem Mandel hält dieses Kriterium aber für viel zu eng. Er plädiert für die Kombination mehrerer Größen.
Eine dabei ist die Zahl der Arbeitslosen. Und die steigt in den USA an: von vier Prozent im Dezember 2000 auf 4,5 Prozent aktuell. In einer neuen Analyse schreibt die Investmentbank Goldman Sachs, dass „die Schwäche am Arbeitsmarkt ein hohes Rezessionsrisiko birgt“. Denn: Wenn mehr Leute arbeitslos werden, geben die Verbraucher weniger Geld aus. Die Nachfrage lässt nach, was in den USA auch schon zu reduziertem Wachstum der Einzelhandelsumsätze führt. Geht das so weiter, fällt die private Nachfrage als Antrieb flach, und die Krise wäre nicht mehr aufzuhalten.
Währenddessen warnt die Optimistenfraktion vor zu viel Schwarzseherei. Es gebe keinen Grund zur Panik, der Verkauf von Automobilen in den USA würde zum Beispiel schon wieder ansteigen, meint Gail Fosler vom Ökonomen-Netzwerk The Conference Board. Dort verweist man ferner auf die Antikrisentherapie von Notenbankpräsident Alan Greenspan, der die Zinsen seit Jahresbeginn um 2,5 Prozent reduziert hat. Und die Steuersenkungen der Bush-Regierung sollen ein Übriges tun, die Leute mit Barem zu versorgen. Gerade hat der US-Senat beschlossen, die Abgaben innerhalb der kommenden zehn Jahre um rund drei Billionen Mark zu senken.
Trotzdem spricht einiges dafür, dass die Krise kommt. Der Output der Industrie sinkt seit sieben Monaten, die Produktivität nimmt ab, und viele Unternehmen sind geradezu in einen Investitionsstreik getreten. Das alles zusammen könnte dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt und die Nachfrage umgekehrt sinkt.
Trifft dieses Szenario ein, wird es entgegen der Voraussagen vieler Banken und Forscher im Herbst dieses Jahres nicht zu dem erhofften Wiederaufschwung kommen. Ökonom Mandel ist sicher: „Erst einmal kommen schlechten Zeiten – wenn auch keine langfristige Stagnation.“
Zum Weiterlesen: Michael Mandel: „Crash.com“. Financial Times Prentice Hall. München 2001. Hannes Koch: „New Economy“. EVA/Rotbuch Verlag, Hamburg 2001.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen