: Meuchelmord und Bienenstich
■ Ganz ohne Blessuren geht es nicht: Von einem, der auszog, ein Hobby-Imker zu werden
Vor einer Woche habe ich die Königin umgebracht. Aus rein materialistischen Erwägungen habe ich die alte Dame eiskalt zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht. Sonst wäre sie womöglich ausgeschwärmt und hätte einen Teil ihres Volkes mitgenommen, denn die Nachfolgerin wartet schon in ihrer Zelle. Und wir Imker wollen vor allem eines: Möglichst viele Bienen im Stock, die möglichst viel Honig sammeln – gerade jetzt zur Rapsblüte.
Zur grausigen Tat angestiftet hat mich mein Imker-Pate Toni vom Geesthachter Imkerverein, bei dem ich seit einiger Zeit mit sieben MitinteressentInnen einen AnfängerInnenkurs besuche. Nach zehn Abenden Theorie – über die Biologie der Bienen zum Beispiel, ihre Behausungen (imkerfachsprachlich Beuten genannt) und Krankheiten oder Methoden der Honigernte – werden wir jetzt von unseren Paten in die praktische Arbeit mit Bienen eingewiesen.
Das bedeutet derzeit Inspektion: Im Mai und Anfang Juni müssen die Völker spätestens alle neun Tage durchgesehen werden, um zu verhindern, dass ein Schwarm abgeht. Zum Beispiel weil die Bienen zu wenig Platz für den Honig haben oder eben, weil eine neue Königin schlüpft. Toni hat glücklicherweise nicht den Anspruch, dass seine Jungimker ungeschützt arbeiten sollen – wie manche alten Hasen, die sich nur mit einer brennenden Pfeife gewappnet an den offenen Bienenstöcken betätigen. Und so verhülle ich mich zünftig mit Schleierhut, Gummihandschuhen und einem weißen Baumwoll-Overall – auf Farbiges fliegen Bienen, in Wolle und Haaren verheddern sie sich leicht und werden grantig –, bevor ich unter Aufsicht eine Wabe nach der anderen zur Durchsicht heraushebe.
Ein wenig Selbstüberwindung fordert die Arbeit an den offenen Beuten – in diesem Fall grün oder braun bemalte Styropor-Kästen – trotzdem. Immerhin 20.000 bis 40.000 InsassInnen summen und krabbeln in jedem Stock herum, einige auch bald auf meiner Schutzkleidung. Außerdem halten Bienen einfach nicht still, und deshalb ist es für einen Anfänger wie mich recht schwer, den Überblick zu wahren. Welche Waben mit Honig, Pollen oder Maden belegt sind lässt sich ja noch erkennen. Aber welche Zellen sind bestiftet, d. h. mit den winzigen, ein bis zwei Millimeter großen Eiern versehen? Auch die Bienen zu unterscheiden – in Arbeiterinnen, die kleiner und rundlicher sind als die schlanke Königin, und Drohnen, theoretisch durch ihr abgerundetes Hinterteil zu identifizieren – ist bei dem Gewusel nicht leicht. Glücklicherweise hat Toni, wie alle Imker, wenigstens den Königinnen einen bunten Punkt auf den Rücken geklebt.
Etwas überraschend war, wie unterschiedlich aggressiv die Völker sind, obwohl sie alle einer realtiv friedlichen Rasse angehören. Einige ließen sich problemlos begutachten, andere kaum etwas unversucht, um sich doch noch unter die Schutzkleidung zu mogeln. Meinen ersten Bienenstich habe ich mir dennoch ganz allein zuzuschreiben: Ich war beim Fotografieren und merkte zu spät, dass sich eine Arbeiterin – Drohnen haben keinen Stachel – auf meiner Kamera niedergelassen hatte. Und ungestraft drücken lässt sich selbst die geduldigste Biene nicht.
Hans-Martin Kühnel
Das Imker-Tagebuch wird in loser Folge fortgesetzt.
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