piwik no script img

Ein Traum von Erdkunde

■ Bundesweiter Geographie-Wettbewerb in Bremen: Von Hauptstädten, Seen und sendungsbewussten Bildungssenatoren. Und Nehbergs kopulierenden Kamelen

So schön kann Erdkunde sein. Statt in einem muffigen Klassenzimmer dem verstaubten Erdkundelehrer gestehen zu müssen, dass man keine Ahnung hat, in welchen Schichten sich Erdöl ablagert, sitzt man lichtumkränzt und von tropischen Blumen umgeben hinter einem Bambuspult. Mama und Papa drücken im Publikum die Daumen und ein liebevoller Moderator vom Kinderkanal säuselt Fragen, die man aus Trivial-Pursuit-Spielen kennt. „Welche Gebirgskette trennt Frankreich und Spanien?“, „Wie heißt die Hauptstadt von Irland?“ Für die richtigen Antworten „Pyrenäen“ und „Dublin“ gibt es donnernden Applaus und keinen säuerlichen Blick über die Lesebrille, der soviel sagt wie: „Na, das ist ja wohl das mindeste, was man von Ihnen erwarten kann.“

Dieser Traum von Erdkundeunterricht fand gestern im Hotel Atlantik neben dem Bremer Wissenschaftsmuseum „Universum“ statt. Zum zweiten Mal hatten die Zeitschrift „National Geographic“ und der Verband Deutscher Schulgeographen (VDSG) den Schulwettbewerb „Geographie Wissen“ ausgeschrieben. Aus 216.875 TeilnehmerInnen waren im Vorfeld 16 Landessieger ermittelt worden: 14 Jungen und zwei Mädchen im Alter von 13 bis 16 Jahren. Diese muss-ten zunächst in Vierergruppen acht Fragen beantworten, um ins Halbfinale zu kommen.

Aus diesem werden die beiden Finalisten ermittelt, die an der Internationalen Geographie-Olympiade in Vancouver teilnehmen werden. Die Halbfinals-Fragen sind bereits deutlich schwerer. Mexico City, Seoul und Singapur sollen nach ihrer geographischen Breite geordnet werden und ein paar Seen nach ihrer Größe. Nein, so komplex sind die Fragen bei Trivial Pursuit nicht, und wer besitzt schon die neueste „Edischen“, die etwas über eine 1998 von der Walfischbai über den afrikanischen Kontinent gebaute Straße wissen will?

Obwohl das Mitraten nicht mehr so erfolgsergiebig ist, bleibt der Wettbewerb spannend. Wie ihre Mitstreiter, entsprechen die Finalisten auch nicht dem Klischee vom schnöseligen Datenaufsauger, sondern erwecken ehrliches Mitfiebern. Als einziges Indiz für pubertäres Fachidiotentum könnte höchstens die sehr niedrige Mädchenquote herhalten. Der Siegerehrer und Bremer Bildungssenator Willi Lemke hat das noch nicht gemerkt und gibt erst einmal einen Sermon über soziale Kompetenzen und Teamfähigkeiten zum Besten. Die seien bei kleinen Einsteins nämlich nicht so entwickelt, belehrt er den ersten Sieger Martin Kirchner aus McPomm. Der hat den Hinweis, dass Freundschaften genauso wichtig sind wie Erdkundebücher, genauso wenig nötig wie der zweite Sieger, Martin Menz aus Sachsen.

Was Lemke mit seinen Hinweisen auf die Wichtigkeit der „Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten“ genau meint, bleibt nebulös. Für die deutlichen Worte ist deshalb Überraschungsgast Rüdiger Nehberg da. Der plaudert sehr unterhaltsam von seinen wundersamen Erlebnissen in der Wildnis. Dazu reicht er sehr anschauliche Bilder von riesigen Hirntumoren, kopulierenden Kamelen, künstlich und kunstvoll hergestellten Penisverdoppelungen und eitrigen Tellerlippen herum. Zum Schluss berichtet er von seinem jüngsten Projekt, dem Kampf gegen Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen. Und verzichtet glücklicherweise auf Bilder.

Nach diesem aus dem Leben eines Überlebenskünstlers gegriffenen Pausenfüller kommt das Finale. Das ist noch ein bisschen schwerer und hat mit Trivial Pursuit nichts mehr zu tun. Mit dem Schulfach Erdkunde auch nicht. ei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen