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Kein Gefälligkeitsurteil

Freispruch für Arzt, der mit Attest Abschiebung verhindert haben soll  ■ Von Elke Spanner

Die Staatsanwaltschaft wollte diesen Arzt auf der Anklagebank sehen. Das Blankeneser Amtsgericht hatte bei einem ersten Prozesstermin vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen, und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hatte sogar zugestimmt. Nach Rücksprache mit ihren Vorgesetzten bestand sie dann doch auf einem Urteil gegen den Blankeneser Arzt Lars B., der mit einem unrichtigen Attest die Abschiebung der Armenierin Anna B. verhindert haben soll. Von dem Vorwurf sprach das Amtsgericht den Mediziner gestern frei.

Unzweifelhaft war stets, dass dessen Diagnose richtig war: Asthma, Schilddrüsen- und Herzerkrankung sowie schwere Depressionen attestierte er Anna B. erstmals im November 1999. Trotz der Krankheiten nahm die Ausländerbehörde die Armenierin im März 2000 in Abschiebehaft. Daraufhin erklärte Lars B. sie ein weiteres Mal für reiseunfähig – da er sie im Gefängnis nicht besuchen konnte, ohne vorherige Untersuchung. Das brachte ihm den Vorwurf eines „Gefälligkeitsgutachtens“ und die strafrechtliche Anklage ein. Denn dass „die Patientin in Haft saß“, so die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer, „enthob den Arzt nicht von der Sorgfältigkeit, die das Ausstellen von Gesundheitszeugnissen erfordert“. Das Gericht hielt dem Arzt zugute, dass er nicht „wider besseres Wissen“ die Krankheiten attestiert hatte. Die seien chronisch, weswegen Anna B. zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung gar nicht gesund gewesen sein konnte. Im Mai 2000 wurde die Diagnose des Arztes von einer Amtsärztin bestätigt. Anna B. hat nun eine Duldung bis November 2001.

Die Anweisung, den Fall zu Ende zu verhandeln, sei „nicht von ganz oben“ gekommen, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger. Dass man der Prozesseinstellung nicht zustimmen werde, sei in der Staatsanwaltschaft „abteilungsintern“ entschieden worden.

Dass die Ermittlungsbehörde zum rigorosen Durchgreifen gegenüber ÄrztInnen entschlossen ist, denen die Ausländerbehörde „Gefälligkeitsgutachten“ unterstellt, hatte sich zuletzt am 9. Mai gezeigt: Die Staatsanwaltschaft durchsuchte die Praxen von sechs MedizinerInnen, die mit falschen Attesten die Abschiebung von Flüchtlingen verhindert haben sollen.

Zu der Durchsuchung hatte die flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Christa Goetsch, eine Senatsanfrage eingereicht. In der wollte sie erfahren, wieso die Staatsanwaltschaft gegen die ÄrztInnen ermittelte, obwohl fast alle Atteste später von AmtsärztInnen und der Ärztekammer geprüft und für korrekt befunden wurden. Die Antwort: Über die amtsärztlichen Befunde hätte die Staatsanwaltschaft keine Erkenntnisse gehabt. Und: Obwohl die Ärztekammer den Verdacht der Gefälligkeitsatteste nicht bestätigte, habe die Staatsanwaltschaft ihre Verfahren gegen die MedizinerInnen fortgesetzt, weil „ihre Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens der Einschätzung der Ärztekamer widersprach“.

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