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Verkehrte Welt

Im Abgeordnetenhaus zogen sich gestern Politiker hinter die Kameras zurück: Sie durften Journalisten interviewen

Nein, Rache sei nicht seine Sache, sagt Rezzo Schlauch. Dabei wäre die Gelegenheit für den Politiker günstig gewesen, jahrelang ertragene bohrende Journalistenfragen zurückzugeben: Der Grüne Bundesfraktionschef interviewte gestern im Abgeordnetenhaus selbst Mitglieder der sonst so wissbegierigen Fragestellergarde. Der gezielte „Rollentausch“ war Teil der dortigen Fachtagung „www.medienundpolitik.de“.

Schlauch spielte seine Rolle locker: Die eine Hand in der Hosentasche, in der anderen das Mikrofon, ertrug er zunächst ein Frage-Schnellseminar: „Kurze Fragen, keine Gelegenheit, lange Antworten zu geben!“, offenbarte Schlauchs Kameramann die Zwänge der sendenden Zunft.

Im Abgeordnetenhaus, wo sonst Antworten interessieren, waren nur die Fragen interessant. Die von Schlauch holperten anfangs. „Was war das spannendste an Ihrem Tag als Ministerpräsident in Hessen?“. Fakten-Focus-Chef Helmut Markwort war der Adressat. Seine Fragen an Sat.1-Chefredakteur Jörg Howe waren bereits so flüssig, dass Guido Westerwelle zu einem Interviewopfer wurde, weil sich keine Journalisten Schlauchs Fragen stellen wollten. Das reichte ihm noch nicht. Er wollte unbedingt noch den Ex-Bild-Chef Peter Böhnisch ausquetschen. Konfrontativ zu fragen, anstatt Botschaften auszusenden, sei schwerer als gedacht, sagte er. Der Rollentausch sei ihm fast so schwer gefallen wie der Wechsel aus der Opposition in die Regierung. „Doch ich bin besser geworden“, bilanzierte er – als Antwort auf die Frage eines Journalisten. TILMAN STEFFEN

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