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Die Urform als Zielform

Bauhaus allerorten: In Paris arbeitet das Deutsche Forum für Kunstgeschichte seit 1997 an einem besseren Kulturaustausch mit Frankreich

Wieder war es Gerhard Schröder. Das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris hat im März dieses Jahres Schlagzeilen gemacht, als der Bundeskanzler sich dort sehen ließ. Diese Geste kam sowohl dem Forum als auch dem Kanzlerimage zugute. Die kulturelle Neugründung rückte ins Licht der Öffentlichkeit, und auch Schröder konnte sich als ein engagierter Kunstfreund präsentieren. Nun überlegen sich auch die Franzosen, einen Höflichkeitsbesuch bei den deutschen Kunsthistorikern in Paris abzustatten. Nicht nur Hubert Védrine, sondern auch Lionel Jospin haben schon im Forum anrufen und ein paar Höflichkeiten sagen lassen.

Das deutsche Institut für Kunstgeschichte sitzt auf der noblen Place des Victoires und forscht über den interkulturellen Transfer zwischen den beiden Nationen. Es existiert erst seit 1997, gilt aber jetzt schon als Vorzeigeprojekt der deutsch-französischen Kulturvermittlung. Die Einrichtung pflegt einen musterhaften Ideenaustausch, gegenseitiges Kennenlernen und alles, was die Politiker sonst den Beziehungen beider Länder wünschen und leider nicht vorfinden.

Ein solches Haus könnte auch die deutsch-französischen Kulturbeziehungen wieder vorwärts bringen. Denn das Interesse beider Länder aneinander sinkt, Bücher werden nicht gelesen, Filme nicht gesehen und Basic English verdrängt sowohl tiefgründiges Deutsch als auch sublimes Französisch. Der Leiter des Forums, Professor Gaehtgens, hat darauf eine klare Antwort – die Politik müsse sich mehr darum kümmern: „Wir haben uns mit den Franzosen bekriegt, anstatt Kulturinstitute aufzumachen. In Italien haben wir sie schon vor hundert Jahren eröffnet, in Frankreich erst vor vier.“

Wie soll nun diese fabelhafte Zusammenarbeit im Forum funktionieren, wenn die Ausbildungswege und Methoden in beiden Ländern vollkommen unterschiedlich sind? Die Deutschen gelten als fortgeschrittene Fachidioten und die Franzosen als oberflächliche Vielwisser. Der Professor lacht und lässt sich keineswegs aus dem Gleichgewicht bringen. „Sie wollten doch bestimmt die deutsche Innerlichkeit und die französische Sinnlichkeit ansprechen, nicht wahr? Beide Eigenschaften sind hervorragend zu einem fruchtbaren Austausch geeignet.“

In den Räumen an der Place des Victoires spürte man tatsächlich nichts von politischen Spannungen. Eine kleine deutsch-französische Idylle, junge Leute im engen Kontakt, alle zweisprachig, in beiden Kulturen zu Hause. In diesem Jahr haben die hoch qualifizierten Kunsthistoriker über das Bauhaus in Frankreich geforscht und ihre Ergebnisse vorgestellt. Daraus ist eine spannende Geschichte des gegenseitigen Interesses, der Anziehung, Nachahmungen und Rivalität entstanden.

Den neun Stipendiaten des Forums ging es vor allem um die Kontakte zwischen dem Bauhaus und der französischen Avantgarde. Das Bauhaus stand auch wegen seines experimentellen Unterrichts für die Moderne in Deutschland schlechthin und hatte international große Ausstrahlung. So ist es nicht verwunderlich, dass Frankreich als Geburtsland der Moderne mit Wissbegier, aber auch mit Argwohn die ästhetischen Recherchen der Bauhausler beobachtete.

Manchmal lief der Ideenaustausch verwickelte Wege: Wer käme schon auf die Idee, dass die Abstraktionsstrategien, die Kandinsky im Bauhaus unterrichtete, möglicherweise von einem apokryphen Franzosen namens Grasset stammen? Er lehrte in Pariser Privatschulen, wie man Blumen abstrahiert und von der Urform zur Zielform künstlerisch fortschreitet. Diese Unterrichtsmethoden praktizierte er in einer heiklen Übergangszeit. Der Jugendstil als Sinngeber hatte weitgehend abgedankt und die Kunst tastete sich vor, Bedeutungen auf abstrakte Formen zu übertragen.

Aber auch die Hauptfiguren Walter Gropius und Le Corbusier waren in spannungsreiche Beziehungsgeflechte verwickelt. Der Werkbund unter Walter Gropius stellte 1930 in Paris seine Entwürfe der Hochhäuser und ihrer Raumgestaltung aus und erregte damit ein enormes Aufsehen. In Frankreich erwartete man schwere, plumpe deutsche Holzmöbel, sah aber leichte und moderne Konstruktionen aus Stahl und Glas. Sie standen der französischen Eleganz keineswegs nach. Der moderne Mensch wird mobil und vom althergebrachten Rollenverständnis frei sein, behauptete Gropius. Daher gibt es in seinen kleinen Wohnungen ein getrenntes Zimmer für Mann und Frau.

Le Corbusier war weniger sozial, hatte aber ein ausgesprochenes Interesse an Utopien und entwarf „Wohnmaschinen“, die Gropius seinerseits faszinierten. Wenn eine Immobilie zu einer „Mobilie“ wird, geht’s ab in die Zukunft. Dieser Traum, im eigenen Haus fahren oder fliegen zu können, machte sich breit in ganz Europa und wirkte bis in die Pop-Architektur hinein, was man sehr gut in der aktuellen Ausstellung des Centre Pompidou sehen kann.

Le Corbusier setzte sich ernsthaft mit dem Gedankengut des Bauhauses auseinander, pflegte Briefkontakte mit Gropius und wurde manchmal sehr kritisch – auch aus Eifersucht. Selbst in einer Kunstgewerbeschule ausgebildet, griff er scharf den Hang des Bauhaus zum Handwerklichen an. Seine Meinung teilten auch andere Architekten wie etwa Adolf Loos, der schlicht über „vergeudete Arbeitskraft und geschändetes Material“ sprach. Wer noch mehr über Widersprüche, aber auch über die gegenseitige Faszination zwischen Bauhaus und französischer Avantgarde nachlesen möchte, muss auf den Sammelband mit den Forschungsergebnissen warten. Er wird demnächst in der Serie „Passages“ erscheinen. ELENA SOROKINA

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